Es ist Zeit für eine neue Qualität der Fahrautomatisierung. Das zumindest suggerieren uns die Autohersteller von Audi bis Tesla. Die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) und die Society of Automotive Engineers (SAE) haben im Konsens sechs Stufen (Engl.: Levels) der Unterstützung von 0 für „ohne jede Hilfe“ bis 5, dem autonomen Auto, beschrieben. Stufe 1 sind Assistenzsysteme wie Tempomaten mit Abstandsregelung (Längsführung) ODER Spurhalteassistenten (Querführung). Stufe 2, die Teilautomatisierung, beinhaltet Längs- UND Querführung.
Der Sprung von der bislang maximal zulässigen Teil- zur Hochautomatisierung steht nun unmittelbar bevor. Während der Fahrer bei Level 2 permanent die Systeme überwachen muss, kann er sich ab Level 3 „in einem bestimmten Anwendungsfall“ entspannt zurücklehnen. Die Elektronik lenkt und bremst. Lediglich zur Rückübernahme „mit ausreichender Zeitreserve“ muss der Mensch bereit sein – für den Fall, dass die Software eigene Grenzen erkennt. So die Theorie. Inzwischen aber gibt es immer mehr Hinweise, dass der Übergang von Level 2 auf 3 nicht so klar abgegrenzt ist, wie es die Papierform nahelegt.
Erst ab Level 4, der Vollautomatisierung, kann eine Situation wie etwa die Autobahn von der Auf- bis zur Abfahrt komplett vom Fahrzeug bewältigt werden. Danach erst kommt das autonome Auto, dass uns wie ein Taxi überall hinfährt.
Heise Autos hat für den Wechsel von Level 2 auf 3 (Teil- zur Hochautomatisierung) mehrere Hintergrundgespräche geführt. Darüber hinaus beschloss die Regierungsmehrheit gerade ein Gesetz des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BVMI), in dem unter anderem die Frage der Haftung geregelt wird.
Das prominenteste Beispiel für Fahrautomatisierung ist der Autopilot 2 von Tesla. Er verfügt über mittlerweile acht Kameras. Eine dreifache Optik oben in der Frontscheibe, eine rückwärtige Kamera sowie je zwei in B-Säule und Kotflügelblinker. Dazu kommen der übliche Radar sowie die als Parkpiepser bewährten zwölf Ultraschallsensoren für die Nahraumkontrolle. Alle Teslas sind außerdem always on und auf diese Weise mit einer gemeinsamen lernenden Landkarte verbunden.
Für das „volle Potenzial für autonomes Fahren“ verlangt Tesla 8.800 Euro Aufpreis. Viel im Vergleich zu einem Dacia Sandero und der Tatsache, dass die Funktionen nur stückweise beim Kunden freigeschaltet werden können. Nicht viel, wenn man den ohnehin hohen Preis eines Teslas bedenkt und mit denen der deutschen Konkurrenz vergleicht. Entscheidend ist der Hinweis von Tesla, dass zuerst eine „rechtliche Zulassung“ erforderlich ist, um dem Fahrer wenigstens Stufe 3, die Hochautomatisierung, zu ermöglichen.
Hierzu müssen zwei Institutionen und das möglichst zeitgleich handeln: Zum einen die jeweiligen nationalen Ministerien (in Deutschland also das BMVI) sowie zum anderen die UN-ECE. Das jübgst beschlossene deutsche Gesetz ist also faktisch erst zusammen mit einer neuen UN-ECE-Regelung wirksam. Die Autoindustrie ist unterdessen selbstverständlich bemüht, einen international einheitlichen Rahmen zu finden oder zumindest einen, der für die EU28 sowie alle US-Bundesstaaten gültig ist.
Umkehrung des Überwachungsprinzips
Der Knackpunkt beim Level 3 ist die Rückübernahme für den Fall, dass das System eigene Grenzen erkennt. Was ist eine „ausreichende Zeitreserve“ für einen Fahrer, der gerade – so stellt es sich Verkehrsminister Dobrindt vor – auf dem Smartphone seine Mails liest? Schließlich bedeutet die Hochautomatisierung eine Umkehrung des bisherigen Überwachungsprinzips. Technisch übersetzt: Die Elektronik muss das Auto während der Rückübergabephase immer noch beherrschen, obwohl es gerade die Überforderung festgestellt hat.
Eine finale und verbindliche Lösung oder eine genaue Definition der Karenzzeit ist zurzeit noch nicht vorhanden. Man verhandelt.
Die Industrie jedenfalls wird wie bisher auf eine Warnkaskade setzen, also den Fahrer optisch, akustisch und / oder haptisch darauf aufmerksam machen, wenn das hochautomatisierte Auto nicht mehr selbst fahren kann. Aus juristischer und vor allem aus Sicht des Halters ist die Frage der Haftung wichtig. Hierzu heißt es unisono, dass alle bestehenden Instrumente ausreichen, um einem anderen, geschädigten Verkehrsteilnehmer einen Ausgleich zu garantieren.
Um zu beweisen, ob ein Unfall a) unvermeidbar war, ob mit oder ohne System, ob b) der Mensch sich falsch verhalten oder c) die Autoelektronik versagt hat, müssen nach dem Gesetz des BMVI Speicherkarten eingebaut werden, die alle relevanten Daten aufzeichnen. Details dazu sind noch nicht bekannt. Aber es geht unter anderem darum sicherzustellen, dass „der Fahrzeugführer sich nicht pauschal auf das Versagen des Systems berufen kann.“
Das klingt nach einem einseitigen Schutz des Herstellers. Die vielen Tesla-Fahrer, die nach einem Zusammenstoß so lange auf einen scheinbaren Fehler ihres Autos verweisen, bis der Datenschreiber das Gegenteil bewiesen hat, bestätigen leider die Notwendigkeit einer Speicherung.
Die Haftpflichtversicherung soll zahlen
Eine Produkthaftung aber ist nach dem neuen deutschen Gesetz unwahrscheinlich. Stattdessen gilt die Halterhaftung – bei einem Unfall mit Personen- oder Sachschaden muss die ganz normale Haftpflichtversicherung bezahlen. Das ist auch der Fall, wenn ein Systemversagen die Ursache ist. Wichtig ist aus Sicht des BMVI, dass ein eventuelles Opfer zum Geld kommt. Hinterher müssen sich eventuell die Versicherungen des Fahrzeughalters und die des Herstellers über die Kosten auseinandersetzen. Weil noch keine Erfahrungen damit vorliegen, wird die Haftungsgrenze pauschal um 100 Prozent auf zehn Millionen Euro angehoben.
Wenig beruhigend sind außerdem Formulierungen, nach der ein Fahrer „unverzüglich“ das Steuer übernehmen muss, „wenn das hoch- oder vollautomatisierte System ihn dazu auffordert, wenn er technische oder sonstige Störungen des Systems erkennt oder erkennen muss oder wenn er erkennt oder auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss, dass die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktionen nicht mehr vorliegen oder wenn er erkennt oder auf Grund offensichtlicher Umstände erkennen muss, dass die Übernahme der Fahrzeugführung zum Zweck der Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften erforderlich ist.“
Wie, bitte?
Insgesamt entsteht hier der Eindruck, dass der Autofahrer sich keineswegs so gedankenverloren dem Geschehen hingeben kann, wie es die Definition der Hochautomatisierung nahelegt, nach der er „das System nicht mehr dauerhaft überwachen muss“. Zu viele Fragen sind offen, zu viele Details sind unklar. Work in progress.
Tesla gibt den Ton an
Wahrscheinlich kommt es so: In naher Zukunft ist es ein Wettbewerbskriterium, ob ein Auto die Rückübernahme in fünf, zehn oder 15 Sekunden erfordert und wie souverän und kulant sich ein Hersteller in Streitfragen verhält – falls es überhaupt so weit kommt. So, wie die Dinge stehen, wird der zur IAA erwartete Audi A8 mit Laserscanner das erste Auto einer deutschen Marke sein, das dem Vernehmen nach spätestens ab 2019 einen Staupilot bis 60 km/h auf Level 3 erhält. Ab 2020 wird wohl ein BMW die freie Autobahnfahrt oder zumindest bis zur Richtgeschwindigkeit ermöglichen.
Und Tesla? Tesla wird mit der unnachahmlichen Mischung aus Transparenz der Entwicklung und permanenten Softwareupdates in der Öffentlichkeit weiterhin den Ton angeben. Elon Musk hat es geschafft, dem Thema Fahrautomatisierung eine manchmal umstrittene, aber letztlich positive Aufmerksamkeit zu beschaffen, die davor unbekannt war.
Wir als Journalisten sind gespannt, in welcher Form die Hochautomatisierung auf den Markt kommt. Das Wunschkonzert: Die Systeme müssen selbsterklärend sein und dürfen den Fahrer niemals in einen rechtlich-finanziellen Notstand bringen. Wenn vorm Betrieb erst eine seitenlange Anleitung mit Ausschlussklauseln gelesen werden müsste, wären sie untauglich. Warten wir’s ab.
Erschienen am 26. Januar bei heise Autos.