Alles kein Problem. Die über sechs Millionen Halter von Diesel-Pkw mit Euro 5-Norm können aufatmen. Theoretisch zumindest: Die Firma Twintec hat einen Volkswagen Passat B7 1.6 TDI mit einem Abgasreinigungssystem nachgerüstet, dass die Stickoxidemissionen unter die Grenzwerte der kommenden Euro 6c-Norm reduziert. Minus 88 Prozent gegenüber dem Serienzustand im neuen Laborzyklus WLTP. Minus 93 Prozent bei der Straßenmessung RDE. Damit erfüllt der Prototyp alle Voraussetzungen für die geplante blaue Plakette. Fahrverbote sind kein Thema mehr. Und auch auf den Werterhalt dürfte die Nachrüstung einen eindeutig positiven Einfluss haben. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte ist, dass die aktuelle Gemengelage aus politischem Taktieren und industriellem Einfluss zu einer Blockade dieser sinnvollen Technik führen kann. Sollte der Druck der Straße in Gestalt unzufriedener Autobesitzer nicht laut und radikal genug werden, passiert einfach gar nichts.
Twintec hat bei der Umrüstung auf Komponenten zurückgegriffen, die alle im Volkswagen-Konzern vorhanden sind. Ein Partikelfilter ist im Passat ohnehin eingebaut. Was fehlt, ist der SCR-Katalysator, jenes System, das die Stickoxide durch Einspritzung einer wässrigen Harnstofflösung (Handelsname: AdBlue) in den Abgasstrang unschädlich macht. Der AdBlue-Tank – ohne Abstriche geht es nicht – mit 16 Litern Volumen nimmt die Reserveradmulde ein. Weil Twintec durch den Prototyp die eigene Kompetenz beweisen will, haben die Ingenieure außerdem den konventionellen SCR-Katalysator weiterentwickelt: Die wässrige Harnstofflösung wird nicht direkt eingespritzt, sondern in einem so genannten BNOx-Generator erst zu Ammoniak aufbereitet, das wiederum über einen Mischer der Nachbehandlung zugeführt wird.
Die Vorteile des BNOx-Generators: Die Betriebstemperatur ist schnell erreicht (Twintec: ca. 100 Sekunden), die NOx-Minderung ist in fast allen Betriebspunkten möglich, und so steigt die SCR-Wirkung insgesamt deutlich an. Eine Eigenkonstruktion, die ebenfalls auf Teile aus dem Volkswagen-Konzern zurückgreift und einen Fortschritt gegenüber bestehenden SCR-Katalysatoren darstellt. Geht doch.
Das gesamte BNOx-System zur Nachrüstung, so heißt es bei Twintec, würde rund 1.500 Euro plus Einbau kosten. Womit der Kern der Debatte wieder hervortritt: Wer bezahlt die Zeche, wer bekommt die Quittung?
Die Kommunen müssen handeln, sind aber ohnmächtig
Die finanzielle Konfliktlinie verläuft zwischen den Interessen der Kommunen und Autobesitzer auf der einen Seite sowie der Industrie und deren Vertretern auf der anderen. Alle Beteiligten haben die begründete Sorge, zur Kasse gebeten zu werden.
Die Kommunen geraten durch die Luftqualitätsrichtlinie der EU von 2008 und Gerichtsentscheidungen immer mehr unter Zugzwang. Die Städte aber sind nahezu ohnmächtig. Die angekündigten Fahrverbote sind lediglich Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit – wie sonst könnten Stuttgart, Berlin oder das Ruhrgebiet die Stickoxidemissionen von Diesel-Pkw akut in den Griff bekommen?
Nach derzeitiger Einschätzung läuft trotzdem alles auf Fahrverbote hinaus: Um so etwas wie Handlungsfähigkeit zu simulieren, könnte die Aussperrung von Diesel-Autos, die nicht der aktuellen Euro 6-Norm entsprechen, zum einzig vorzeigbaren Instrument der Kommunen werden. Dass die jüngsten Messungen vom Umweltbundesamt (durchschnittlich 507 bei erlaubten 80 mg NOx / km) belegen, wie wenig diese Maßnahme verspricht, ist nur ein weiterer Akt in diesem Schauspiel. Unterdessen meldet das ADAC Technikzentrum, dass bestimmte Euro 6-Dieselautos sogar mehr Stickoxide ausstoßen als Euro 5-Pkw: Die Privilegierung von neuen Euro 6- gegenüber kaum älteren Euro 5-Autos ist nicht nur emotional, sondern auch aus der wissenschaftlichen Abgasperspektive eine Sauerei.
Ob gewollt oder nicht, Twintec entlarvt mit dem Passat-Prototyp die Äußerungen der Autoindustrie, eine Nachrüstung wäre zu kompliziert, wirkungslos und überhaupt viel zu teuer, als Schutzbehauptung. Der Optimismus, den Twintec im F.A.Q. auf der Webseite verbreitet, kann nach diversen Hintergrundgesprächen in Berlin und Brüssel dennoch leider nicht geteilt werden: „Wir rechnen noch 2017 mit einer Entscheidung der Bundesregierung“, sagt Twintec. Genau das aber ist zweifelhaft.
Nachrüstmöglichkeit erhöht Druck auf Industrie
Das Bundesverkehrsministerium unter Leitung von Alexander Dobrindt (CSU) müsste ähnlich wie in der Vergangenheit (zum Beispiel beim Partikelfilter) eine Verordnung erlassen, die einen Zusatz zur Typgenehmigung gesetzlich regelt. Intern wird diese Verordnung als Anlage 29 zur StVZO gehandelt. Dadurch wäre es möglich, einen Euro 5-Pkw auf Euro 6 umzuschlüsseln, ohne das eine Einzelabnahme erforderlich ist oder der Rest des Pkw inklusive Crashnormen ebenfalls neu typgeprüft werden muss.
Sollte das passieren, also eine entsprechende Verordnung inklusive Ausführungsbestimmungen in Kraft treten, würden sich plötzlich viele Tausend oder sogar Millionen deutscher Dieselhalter fragen, warum sie alleine für eine Nachrüstung bezahlen sollen, die von der Autoindustrie verursacht und vom Gesetzgeber gebilligt wurde. Vor diesem Hintergrund und im Wissen um sein bisheriges Verhalten bei Dieselgate ist die Vorstellung absurd, Verkehrsminister Dobrindt würde auf den letzten Metern seiner Amtszeit die Hersteller in irgendeiner Form direkt oder indirekt zur Kasse bitten.
Grüne in der Zwickmühle
In einer prekären politischen Zwickmühle befindet sich allerdings weniger Bundesverkehrminister Dobrindt, von dem niemand eine ausgeprägt industriekritische Position erwartet. Vielmehr ist es Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, der hinter den eigenen Anspruch zurückfällt. Er hat mit dem Neckartor in Stuttgart den übelsten Messpunkt der Republik vor der Haustür, und eigentlich sollte er als Politiker der Grünen seine Prioritäten auf den Umweltschutz legen. Zugleich ist die Autoindustrie in Südwestdeutschland bisher ein wichtiger Arbeitgeber und Wohlstandsgarant. Für Kretschmann ist die Sache klar: Der Diesel, so sagte er letzte Woche der dpa, sei „der beste Verbrennungsmotor, den wir haben.“ Was die Nachrüstung betrifft, gibt er sich zurückhaltend, darüber, wie das bezahlt werden könne, müsse „später“ gesprochen werden. Nach der Bundestagswahl?
Auch der Baden-Württembergische Verkehrsminister Hermann (ebenfalls Winfried und gleichfalls die Grünen) macht deutlich, wer die Verlierer von Fahrverboten sein werden. Es müsse großzügige Ausnahmen geben für den Lieferverkehr, Transporte zur Versorgung mit lebenswichtigen Gütern, unaufschiebbare technische Dienstleistungen, Taxen, Fahrschulen und für Schichtarbeiter, die den ÖPNV nicht nutzen könnten. Übrig bleibt die große Gruppe der privaten Dieselbesitzer.
Die Luft atmen alle
Über sechs Millionen Halter von Euro 5-Autos sind eine große, aber nicht die größte betroffene Gruppe: Das sind nämlich die Menschen, wir alle. Im aktuellen Beharrungsszenario ist absehbar, dass die Immissionsbelastung mittelfristig nicht oder kaum weniger wird. Die gesundheitsschädlichen Stickoxide, die laut Umweltbundesamt zu 72,5 Prozent von Diesel-Autos verursacht werden, bleiben uns erhalten, bis Euro 6-Fahrzeuge die Grenzwerte im Realbetrieb einhalten und der riesige Bestand auf dem Schrottplatz oder im Export ist.
In den 80er Jahren hat der Staat die Einführung des geregelten Dreiwegekatalysators und die Nachrüstung durch Steuererleichterungen beschleunigt. Auch heute ist es denkbar, die finanzielle Last einer Nachrüstung nicht einseitig nur den Autobesitzern oder ausschließlich der Wirtschaft aufzubürden. Zurzeit erwecken aber selbst Politiker der Grünen den Eindruck, den Schutz der Industrie vor den der Bürger stellen.
Erschienen am 3. Mai bei heise Autos.
Kann in jedem Punkt Herrn Schwarzer zustimmen, die Frage bleibt aber : „Wie geht es weiter“.
Bin ersthaft am Überlegen die zuständigen Fach-Minister anzuzeigen wg:
1) Beihilfe zum Betrug
2) Rechtsbeugung im Amt
3) Vorsätzlicher Körperverletzung
4) Eidesbruch, da die Herschaften bei der Vereidigung geschworen haben Schaden vom deutschen Volk abzuwenden.
Sorry, bin extrem sauer.