Laternen-Lader

Wer in London ein Batterie-elektrisches Auto kauft, der bekommt drei Ladepunkte in die Straßenlaternen montiert. Dort, wo der Fahrzeughalter wohnt. Und vorausgesetzt, er ist Kunde bei Ubitricity, jenem Unternehmen, das durch die Aufrüstung von Laternen zu Wechselstrom-Ladesäulen bekannt wurde. So mögen es die Engländer – die Infrastruktur aus viktorianischer Zeit leistet plötzlich einen Beitrag zur Luftreinhaltung in der Stadt, die den Smog (smoke und fog, Rauch und Nebel) erfunden hat. Für Ubitricity aber sind die Laternen lediglich ein besonders vorzeigbares Projekt: Die eigentliche Idee des Startups ist ein mobiles und geeichtes Strommessgerät, dass in einem Kabel implementiert ist. Der Vorteil des Systems sind Transparenz bei der Abrechnung, Diskriminierungsfreiheit für die Versorger und kostengünstige Ladepunkte. Und vielleicht schafft es der Ansatz von Ubitricity sogar in jedes zukünftige E-Auto.

Ubitricity verlagert zwei wesentliche Komponenten vom Ladepunkt ins Kabel: Den Stromzähler („Mobile Meter“) sowie das Mobilfunkmodul. Die Typ 2-Buchse dagegen hat neben der Hardware lediglich die Identifikationssoftware eingebaut. Ubitricity spricht darum von der „Simple Socket“. Diese kleinere und kostengünstigere Dose ermöglicht die Montage in Straßenlaternen, Pollern und schlanken Säulen, die eben nicht an unästhetische Parkautomaten erinnern.

Eichrechtskonform und transportabel

Der Stromzähler im Kabel ist eichrechtskonform. Ein Umstand, der wichtig und selten ist. An vielen Wechselstrom- und quasi allen Gleichstrom-Ladesäulen wird nicht exakt gemessen, jedenfalls nicht im Sinn der zuständigen Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Das ist der Grund, aus dem häufig nach Zeit oder mit Pauschalen abgerechnet wird. Ein Missstand, der zu stark schwankenden Kilowattstunden-Preisen führt.

Hieraus ergeben sich die zurzeit wichtigsten Anwendungsfälle für Ubitricity in Deutschland: Flottenbetreiber und Eigentümergemeinschaften haben einen konkreten Nutzen. So können Dienstwagenberechtigte sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause genau ermitteln, an welchem Standort wie viel Strom verbraucht wurde. Das SmartCable wandert, sagt Ubitricity. Streitigkeiten – unter anderem mit dem Finanzamt – bleiben genauso aus wie in der Immobilienwirtschaft. Wenn zum Beispiel eine Tiefgarage von etlichen Eigentümern benutzt wird, können die Besitzer von E-Autos niederschwellig nachweisen, wie viel elektrische Energie in die Batterien ging. Aufgeschlüsselt und für jeden Einzelfall.

Umsonst ist das natürlich nicht. Die intensive Entwicklungsarbeit will bezahlt sein. Die Hardware von Ubitricity („Simple Socket“) ist tendenziell, aber nicht radikal preisgünstiger als eine vergleichbare Wallbox. Das „SmartCable“ mit mobilem Strommessgerät und Funkeinheit dagegen ist teurer als ein gewöhnliches Typ 2-Kabel; es wird in unterschiedlichen Smartphone-ähnlichen Tarifen und gekoppelt an einen Stromvertrag angeboten.

Die transparente und genaue Abrechnung ist die Stärke im Jetzt. Was aber ist die Vision für die Zukunft?

Massenhaft günstige Wechselstrom-Ladepunkte

Zum einen die massenhafte Verbreitung von Wechselstrom-Ladepunkten. Diese sind bei Ubitricity im Moment einphasig ausgelegt (4,6 kW); im Sommer kommt ein dreiphasiges Modell (elf kW) hinzu. Wenn es sehr viele Buchsen gibt, siehe Skandinavien, macht das die umstrittene Privilegierung von Parkplätzen vor Ladesäulen überflüssig, und die Batterie-elektrischen Autos könnten so langsam Strom ziehen, wie es dem Stromnetz gerade passt. Stichwort Stromnetz: Es ist leicht vorstellbar, das SmartCable als technische Basis für netzdienliches (also je nach Marktangebot) sowie bidirektionales Laden einzusetzen.

Das System lässt sich in etliche Richtungen weiterdenken: Ab März 2018 müssen alle in der EU zugelassenen Pkw eine Notruffunktion haben. Sie sind also grundsätzlich Mobilfunk-fähig, womit eine der im SmartCable vorhandenen Funktionen ohnehin in jedem Auto vorhanden ist. Was fehlt, ist das „Mobile Meter“, also der eichrechtskonforme Stromzähler. Sollte der Gesetzgeber sich überlegen, dieses Messinstrument in jedem Fahrzeug verpflichtend einzubauen – etwa für eine noch nicht absehbare Maßnahme zur steuerlichen Lenkung – hätte Ubitricty bereits eine fertige Lösung im Portfolio.

Überall den gleichen Stromtarif

Wesentlich näher an der Wirklichkeit ist die Möglichkeit für Versorger, überall ihren Strom anzubieten. In der Branche fällt es unter den Begriff Diskriminierungsfreiheit, wenn ein Kunde zum Beispiel eines lokalen Grünstromanbieters überall in Deutschland dessen Produkt laden kann. Das ist gewissermaßen der nächste Schritt, der von Unternehmen wie Lichtblick angestrebt wird.

Was noch? Ubitricity ist ein nicht oder nur in Teilen proprietäres Prinzip. So kann das SmartCable wie ein normales Kabel zum Laden an Wechselstrom-Säulen genutzt werden. Allerdings wird dann auch der Tarif des jeweiligen Betreibers fällig. Umgekehrt kann nicht an jeder Ubitricity-Buchse mit einem Standard-Typ2-Kabel Strom gezogen werden, sondern nur an denen mit „Direct Access“. Die Freischaltung funktioniert über einen QR-Code, die entsprechende Webseite sowie die Eingabe der Kreditkartennummer. Ubitricity-Sockets dürften vor allem im privaten Raum nur minimal ausgestattet sein und nicht über diesen Zugang verfügen; hier können also nur andere Kunden des Unternehmens laden und sonst niemand.

Das Konzept von Ubitricity nimmt Fahrt auf. Bei uns, im Londoner Pilotprojekt und bald in Kopenhagen. Der IT-Dienstleister ist mit seinem Produkt einer von vielen Mosaiksteinen, die letztlich immer zur Massentauglichkeit von Batterie-elektrischen Autos, zur Energiewende in der Mobilität und zu besserer Atemluft führen können.

Erschienen am 12. Mai bei heise Autos.

Bildquelle: Ubitricity

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