Stromkasten

Praktisch und funktional: Der Nissan e-NV200 Evalia ist ein Kasten im besten Sinn. Die Seitenwände stehen senkrecht, und die Sitzposition ist hoch. Er fühlt sich wie ein VW Bus an, nur eine halbe Nummer kleiner. Mit 4,56 Meter Länge bei 1,85 Meter Höhe hat er wenig formale Konkurrenz: Der Toyota Proace mit kurzem Radstand („L0“) etwa ist ähnlich proportioniert, hat aber einen Dieselmotor. Das Alleinstellungsmerkmal des e-NV200 Evalia ist die Verbindung aus transportertypischer Quaderform, Pkw-gemäßer Innenausstattung und Batterie-elektrischem Antriebsstrang. Wir fuhren den Nissan mit der von 24 auf 40 kWh gestiegenen Batteriekapazität.

Eigentlich stammt die Basis des e-Evalia aus dem letzten Jahrzehnt. Der NV200 wurde 2009 vorgestellt, und wer auf Assistenzsysteme wie einen adaptiven Tempomat Wert legt, merkt das. Hier bremst und lenkt der Fahrer noch selbst. Seit 2013 läuft der e-NV in Barcelona vom Band. Die Komponenten sind teilweise mit dem Leaf 1 identisch: Der Elektromotor leistet 80 kW und hat ein Drehmoment von 254 Nm. Der Kontrast zu einem zum Vergleich gefahrenen NV200 dCi mit 81 kW (110 PS) könnte kaum schärfer sein: Hier das Dröhnen des Selbstzünders und permanente Schaltarbeit. Dort die souveräne Kraft und der geschmeidige Komfort eines elektrischen Antriebs. Mag die Höchstgeschwindigkeit auch auf 123 km/h begrenzt sein – man reist kommod, statt zu rasen.

Während die E-Maschine und das nicht mehr ganz zeitgemäße Radionavigationssystem vom Leaf 1 kommen, wurde die Batterie des e-Evalia vom Leaf 2 übernommen. Sie ist, anders als im Weltverkaufsmeister, flüssigkeitsgekühlt. Das mildert #Rapidate erheblich ab: Unter diesem Hashtag wurde der Effekt bekannt, bei dem die Ladegeschwindigkeit mit steigender Batterietemperatur stark abnimmt.

Praxistauglich, wendig, agil.

Was den Alltag mit e-Evalia angenehm macht, ist die hohe Praxistauglichkeit. Die Karosserie ist mit 1,76 Meter für heutige Verhältnisse schmal. Zusammen mit der leichtgängigen Lenkung macht das nicht nur das Fahren in der Stadt leichter. Auch zugeparkte Ortsdurchfahrten oder enge Autobahnbaustellen bereiten keine Sorgenfalten, zumal der e-Evalia stoisch geradeaus läuft, die Steuerung präzise und der Wendekreis auffallend klein ist. In Kurven ist außerdem spürbar, wie die Batterie den Schwerpunkt nach unten verlagert – mit dem konventionellen NV200 dagegen bekommt man schnell Schlagseite. Hohe Kurventempi sind dennoch nicht die Domäne des e-Evalia; das Gewicht raubt den Batterie-elektrischen Autos grundsätzlich die Dynamik.

Der e-Evalia ist mit einem Preis von 43.433 Euro die teuerste der elektrischen NV-Versionen. Der einfache und geschlossene Kastenwagen ohne Batteriekühlung ist ab 34.105 Euro brutto (28.660 Euro netto) zu haben. Alle Varianten sind förderfähig; es können also pauschal 4.000 Euro E-Prämie abgezogen werden. Es bleiben 39.433 Euro. Der Testwagen, den Nissan zur Verfügung gestellt hat, war mit nur einer Sonderausstattung versehen: Den beiden seitlich hochklappbaren Einzelsitzen in der dritten Reihe für 670 Euro.

Die Serienausstattung des e-Evalia ist umfangreich. Klimaautomatik, Licht- und Regensensor, Rückfahrkamera – alles drin. Auch aus elektromobiler Sicht gibt es (fast) keinen Mangel. Der Gleichstrom (DC)-Schnellladeanschluss mit der japanischen Chademo-Buchse und nominal 50 kW Ladeleistung ist in allen e-Evalia aufpreisfrei eingebaut; die erweiterte 1-phasige Wechselstrom (AC)-Ladefähigkeit mit 7,4 kW auch. Diese Leistung ist jedoch lediglich an öffentlichen Säulen und nicht zu Hause erzielbar. In der eigenen Garage erlaubt die Schieflastverordnung etwa 4 kW. Die Auslegung des AC-Ladegeräts – 1-, 2- oder 3-phasig – wird unter den Fans des Elektroautos viel diskutiert. Im Alltag hat sich das als unwichtig herausgestellt. Entweder, es war so viel Standzeit vorhanden, dass das gleichgültig war, etwa über Nacht. Oder, es war eine schnelle Chademo-Säule vorhanden.

Was fehlt, ist die Wärmepumpe. Unter den aktuellen, fürs Batterie-elektrische Fahren optimalen Wetterbedingungen hat das keine Bedeutung. Bei großer Kälte schon; hier dürfte der Aktionsradius schrumpfen. Weil der Nissan e-NV200 Evalia zu einem gelassenen Fahrstil verleitet, lag der Stromverbrauch mit 20,3 kWh / 100 km klar unter der Werksangabe von 25,9 kWh nach WLTP. Besonders hilfreich für die Reichweite ist es, wenn man auf der Autobahn nur 120 oder 110 km/h fährt. Dann sind 150 bis 200 Kilometer jederzeit drin. Abseits von A7 und A2 können bis zu 250 km erreicht werden.

Die so genannte kombinierte Reichweite liegt nach der gesetzlichen Vorgabe bei exakt 200 Kilometern. Wer bei einer Batteriekapazität von 40 kWh und einem Normverbrauch von 25,9 kWh / 100 eigentlich eine kleinere Zahl vermuten würde, möge sich das Verfahren zur Ermittlung anschauen.

Rapidgate milder als beim Leaf

Für die längere Tour ist die tatsächliche Ladeleistung wichtig. Bei kalter Batterie waren es rund 41 kW; in einer Stunde könnten also rein rechnerisch 41 kWh geladen werden. Faktisch nimmt die Ladeleistung spätestens ab einem SOC (State of Charge) von 80 Prozent deutlich ab.

Mit warmer Batterie, also zum Beispiel nach den ersten 125 Kilometern, sank die erreichbare Ladeleistung (Stichprobe: SOC 24 auf 80 Prozent) auf 35 kW ab. Beim zweiten Stopp waren es noch 26 kW und beim dritten gleichfalls. Ein so starker Einbruch wie beim Leaf 2 bis auf gut 15 kW konnte demnach nicht festgestellt werden. Es bleibt leider trotzdem dabei, dass die meisten Batterie-elektrische Autos bei wiederholter Schnell-Ladung länger stehen müssen. Durchhangeln? Kein Problem, wenn man viel Zeit und Geduld mitbringt.

Das Grundkonzept wird jeder sympathisch finden, der sich auch von einem VW Bus angezogen fühlt. Die zwei (!) Schiebetüren erleichtern den Einstieg nach hinten, und der Kofferraum ist mit bis zu knapp drei Kubikmetern riesig. Ein kleiner Abstrich ist, dass die Sitzbank in der zweiten Reihe zwar gefaltet werden kann. Für das komplette Rausnehmen sind darüber hinaus ein 14er Schlüssel und starke Arme gefragt sind. Und wenn die Einzelsitze in Reihe 3 bestellt werden, sinkt die Anhängelast von 150 kg (also einem Paulchen plus Fahrräder) auf null. Übrigens: Auf einem Campingplatz waren wir willkommen, durften aber keinen Strom ziehen. Allgemeine Geschäftsbedingung für Elektroautos. Begründung: Keine.

Der Nissan e-NV200 Evalia ist die Empfehlung für alle, die ein praktisches familien- und alltagstaugliches Elektroauto wollen. Die weiteren Stärken: Er ist leicht zu fahren und leise, ausgereift und durchdacht. Dass er zugleich die typischen Nachteile eines Batterie-elektrischen Antriebs mit sich bringt, müssen Interessenten hinnehmen oder zu einem Produkt mit Verbrennungsmotor greifen. Und es wäre schön, wenn die angeblichen Preissenkungen bei den Batteriekosten verstärkt an den Endkunden weitergegeben würden. Dieser witzige Stromkasten hätte es verdient.

Erschienen am 14. September bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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