Ist Ladestrom teurer als Diesel?

Der Ärger ist groß in der Community der Elektroautofahrer: Die Preise für Strom an öffentlichen Ladesäulen sind rapide angestiegen. Je nach Anbieter und Vertragsverhältnis kann die elektrische Energie an den für längere Strecken wichtigen Gleichstrom-Schnellladesäulen 39, 49 oder sogar 89 Cent pro Kilowattstunde (kWh) kosten. Das Ergebnis: Unter bestimmten Umständen liegen die Kilometerkosten über denen von Autos mit Verbrennungsmotor. Eine herbe Enttäuschung – und eine Verbesserung ist nicht in Sicht.

Laut BDEW lag der durchschnittliche Haushaltsstrompreis im Januar bei 30,22 Ct./kWh. Zum im Bordcomputer angezeigten Verbrauch addieren sich die Verluste beim Laden. Diese müssen vom Halter bezahlt werden und variieren stark vom einstelligen Prozentbereich bei gut abgestimmten und bis über 25 Prozent bei minderwertig ausgelegten Systemen.

In der heimischen Garage wird Wechselstrom (AC für alternating current) geladen. Das Gros der Säulen im öffentlichen Raum arbeitet ebenfalls auf AC-Basis. Sie sind vergleichsweise günstig zu installieren und bieten Leistungen von bis zu 22 Kilowatt (kW) an. Theoretisch könnten in einer Stunde also 22 kWh in die Batterie gelangen, was praktisch nur beim Renault Zoe und einigen Teslas mit Doppellader möglich ist. Bei anderen Fahrzeugen sind Ladeleistungen zwischen 3,7 und elf kW üblich. AC-Säulen sind wichtig, weil mit vergleichsweise geringen Investitionen eine hohe Versorgungssicherheit geschaffen werden kann. Außerdem ist es häufig egal, wenn Autos viele Stunden stehen. Wer im Gegensatz dazu zügig von A nach B kommen will und dabei größere Distanzen bewältigen muss, kommt aber an den schnellen DC-Säulen (für direct current, also Gleichstrom) nicht vorbei.

DC-Strom ist das neue Super Plus

Diese DC-Säulen stehen oft an Autobahnen und Verkehrsknotenpunkten. Die Ladeleistungen liegen bei 50, 150 oder sogar 350 kW. Und das Vorbild sind die Supercharger-Ladeparks von Tesla: Hier können acht oder noch deutlich mehr Elektroautos gleichzeitig Strom ziehen. Auch beim Pionier aus Kalifornien sind die Zeiten der Energieverschenkens vorbei – während die frühen Käufer für die Lebenszeit des Autos gar nichts bezahlen, müssen zum Beispiel die Besitzer des neuen Model 3 seit dem letzten Wochenende einen Preis von durchschnittlich 40 Cent pro kWh abdrücken, wie ein Sprecher auf Anfrage von heise Autos bestätigt. Der Branchendienst ELECTRIVE.net berichtet sogar von regionalen Schwankungen bis zu 44 Cent pro kWh und vermutet, dass „die Auslastung der Standorte bei der Kalkulation berücksichtigt wird“.

Im Praxistest hat das Tesla Model 3 bei konstanter Richtgeschwindigkeit 20,8 kWh auf 100 km verbraucht. Ein sehr guter Wert, der die exzellente Aerodynamik wiederspiegelt und nur vom Hyundai Ioniq unterboten wird. Bei 40 Cent pro kWh ergeben sich also 8,32 Euro. Dafür lassen sich nach aktuellem Stand 6,5 Liter Diesel (bei 1,28 Euro / l) oder 5,7 Liter Superbenzin (bei 1,47 / l) kaufen. Werte, die zumindest im Fall des Selbstzünders unterboten werden können.

Bei einem lockeren Trab mit etwa 160 km/h nahm das Model 3 rund 30 kWh / 100 km aus der Batterie. Auch das ist ein im Konkurrenzvergleich günstiger Wert, aus dem sich zwölf Euro auf 100 km ergeben. Für zwölf Euro gibt es zurzeit 9,4 Liter Dieselkraftstoff oder 8,2 Liter Superbenzin. In diesen Berechnungen sind allerdings noch keine Ladeverluste einberechnet, weil sich keine einheitliche Aussage treffen lässt; die Bilanz fällt also nochmals etwas ungünstiger fürs Elektroauto aus.

kWh-Tarife statt Pauschalen

Bis vor kurzem wurde der Strom an DC-Ladesäulen häufig zu Pauschalen verkauft. Zum Preis von beispielsweise acht oder 14 Euro konnte der Nutzer so viel Strom laden, wie die Batterie fassen konnte oder die persönliche Geduld reichte. Hintergrund dieser Abrechnungsmethode war, dass der Strom nicht nach dem deutschen Eichrecht gezählt wurde und Pauschalen als Alternative erlaubt waren. Der Staat hat das mit Rücksicht auf einen zügigen Ausbau der Infrastruktur geduldet, setzt die Eichrechtsvorgabe aber jetzt Stück für Stück durch.

Die Tatsache, dass in einem Land, in dem jede Fleischwaage regelmäßig vom Amt überprüft wird, ausgerechnet der Ladestrom für Elektroautos noch nicht eichrechtskonform gezählt wird, ist unverständlich. Die Infrastrukturhersteller haben sich aus Angst vor den Kosten vehement dagegen gewehrt. Es ist aber seit einiger Zeit absehbar, dass es kein Zurück gibt: Das bestehende Gesetz wird angewendet. Mehr und mehr Ladesäulenproduzenten erhalten so genannte Baumusterprüfbescheinigungen zur Freigabe ihrer Hardware, und auch Nachrüstlösungen werden implementiert. Kern ist dabei nicht die Messung des Stroms selbst – die ist im Regelfall bereits präzise –, sondern die verlässliche Speicherung und datenschutzsichere Nachvollziehbarkeit der Prozesskette. Wer hat wann und wie viele Kilowattstunden an welchem Standort geladen? Das muss der Endkunde im Zweifel einklagen können.

Eichrecht als Anlass, nicht als Ursache der Preiserhöhung

Im Vorgriff auf die in den nächsten zwei Jahren flächendeckend erwartbare Eichrechtskonformität erlauben die Behörden jetzt schon, nach Kilowattstunde statt mit Pauschalen abzurechnen. Diese Umstellung nutzen die meisten Anbieter für teils drastische Preiserhöhungen – es ist Schluss mit den Lockangeboten, die etwa die Telekom-Marke Get Charge vorübergehend gemacht hatte. Jetzt kostet die DC-Kilowattstunde 39 Cent bei assoziierten Partnerbetreibern der Telekom und 89 Cent bei den „Sonstigen“.

Versorgungsunternehmen, die selbst die Infrastruktur aufbauen, haben im Regelfall eine geringe Schwankungsbreite. Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hat am 1. März auf kWh-Tarife umgestellt und berechnet an schnellen DC-Säulen 39 Cent für Vertragskunden (4,99 Euro Grundgebühr pro Monat) und 49 Cent für andere. Die erboste Community der Elektroautofahrer unterstellt Firmen wie der EnBW, in dreister Gewinnmaximierungsabsicht zu handeln. Die Wirklichkeit ist wie so oft differenzierter.

Volle Steuern, Abgaben und Umlagen auf Ladestrom

Das Problem der Infrastrukturbetreiber beschreibt Marc Burgstahler, Leiter Elektromobilität bei der EnBW: „Ladestrom ist für Ladestationsbetreiber genau wie Haushaltsstrom voll steuer- und abgabenpflichtig. Beim Haushaltsstrompreis beträgt dieser Anteil an Steuern, Abgaben und Umlagen sowie staatlich regulierten Netzentgelten rund vier Fünftel.“ Dazu addieren sich die Kosten für die Ladesäulen, die Trafostation eines Ladeparks, das IT-Backend sowie die Wartung. Geld, das irgendwo herkommen muss. „E-Mobilisten profitieren hier jedoch auch von einem entsprechenden Gegenwert: den deutlich kürzeren Ladezeiten“, so Burgstahler.

Aus den hohen Strompreisen an den DC-Säulen ergibt sich, gewollt oder nicht, eine doppelte Lenkungswirkung. Zum einen bleiben die Elektroautofahrer nur so lange, wie sie es unbedingt müssen. Es wird nicht „vollgetankt“, sondern nur ausreichend Energie gezogen, um zum Ziel zu kommen. Die rare Säule wird also zeitnah wieder frei. Zum zweiten wird die Höhe der Geschwindigkeit gesenkt, weil sie der entscheidende Verbrauchstreiber ist. Bei Elektroautos gilt: Wer langsamer fährt, kommt früher an.

Es bleibt also dabei, dass Batterie-elektrische Autos auf langen Strecken Probleme haben. Bisher nur wegen der begrenzten Reichweite und den Zwangspausen an der Ladesäule – jetzt auch wegen unerwartet hoher Strompreise.

CO2-Steuer würde Dieselkraftstoff verteuern

Oder liegt die Ursache ganz woanders? Strom, das wird aus der Zusammensetzung des Endpreises klar, ist mit hohen Steuern und Abgaben belegt. Das gilt im Grundsatz auch für fossile Kraftstoffe. Der Diesel aber genießt extreme Nachlässe: Die Energiesteuer liegt um 18,41 Cent pro Liter niedriger als die für Benzin.

Sollte sich die öffentliche Diskussion weiter in Richtung CO2-Steuer bewegen, müsste dieser Vorteil nicht nur aufgehoben werden. Wegen der im Vergleich zu Benzin um rund 13 Prozent höheren CO2-Emissionen – bei der Verbrennung eines Liters werden 2,65 statt 2,34 kg Liter frei – müsste die Steuer entsprechend höher sein: 13 Prozent mehr als die Besteuerung von Superbenzin von 65,45 Cent pro Liter wären knapp 74 Cent. Eine faire Besteuerung nach CO2 würde also ein Plus von 27 Cent pro Liter an der Dieselsäule ergeben. Und das ist politisch nicht vorstellbar.

Erschienen am 3. Mai bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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