Es sei „erbärmlich“, dass Volkswagen von der Hardware-Nachrüstung von Diesel-Pkw abrate. Axel Koblitz, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) kritisiert den Wolfsburger Konzern und unterstellt, die Argumente wären vorgeschoben. Schließlich sei der Einbau von Abgasreinigungstechnik seit langer Zeit üblich, wie Katalysator und Partikelfilter zeigten. Der Auslöser für die Warnung von Volkswagen vor einer Hardware-Nachrüstung war das Bundesverkehrsministerium (BMVI): Kurz vorm Jahreswechsel wurden die technischen Vorschriften veröffentlicht. Das ist bedeutend, denn bisher hatte die Verzögerungstaktik von Minister Scheuers Vorgänger Dobrindt (beide CSU) verhindert, dass Nachrüstlösungen überhaupt genehmigt wurden. Jetzt aber ist der gesetzliche Rahmen klar – es geht los.
Die Hersteller von Hardware-Nachrüstlösungen für Diesel-Autos können nun offiziell zum Kraftfahrtbundesamt (KBA) gehen und eine allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) beantragen. Hierzu wird auch „schnellstmöglich“, so das BMVI, die Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) angepasst.
Um Fahrverboten wie zum Beispiel in Stuttgart oder Köln zu entgehen, müssen umgerüstete Diesel-Pkw nachweisen, dass der Stickoxidausstoß unter 270 mg pro Kilometer sinkt. Dieser Wert muss im realen Straßenbetrieb bei einer Real Driving Emissions-Messung (RDE) unterboten werden. Zur Einordnung: Der Laborgrenzwert für Euro 4-Diesel lag bei 250 mg / km und für Euro 5 bei 180 mg / km. Mit Einführung der Euro 6-Norm sank der Grenzwert auf 80 mg / km; dieser darf im RDE-Test jedoch bis zur Erstzulassung 2021 um den Faktor 2,1 und danach noch um das 1,5-Fache überschritten werden.
Positivliste mit Kennzeichenerkennung
Wahrscheinlich bekommen die verbesserten Bestandsdiesel formal keine neue Abgasnorm zugeschrieben. Eine Umschlüsselung erfolgt nicht. Stattdessen gibt es verschiedene Ansätze, wie die Halter sich für eine Fahrverbotszone legitimieren können. Grundsätzlich wird die Änderung in die so genannte Zulassungsbescheinigung I eingetragen, also den Fahrzeugschein. Zusätzlich wird die umstrittene Kennzeichenerkennung diskutiert. Wer seinen Diesel umgerüstet hat, könnte auf einer Positivliste erscheinen, automatisch identifiziert werden und sanktionsfrei bleiben. Einen finalen Beschluss gibt es allerdings noch nicht.
Während die Juristen an der lebenspraktischen Umsetzung arbeiten, bereiten sich die Umrüstunternehmen auf die erwartete Nachfrage vor. heise Autos sprach mit Dr. Martin Pley von der Dr. Pley SCR Technology GmbH über die technischen Vorschriften des BMVI: „Das Ministerium erlaubt die Zusammenfassung von Autotypen in Motorenfamilien“, so Pley. Die Kriterien für diese Familienbildung seien weit gefasst, was eine pragmatische Zulassung für viele Automodelle ermögliche.
„Unser erstes Produkt ist seit Monaten fertig“, erklärt Martin Pley im Telefonat, „wir hoffen auf eine ABE ab Ende Februar.“ Praktisch alle Euro 5-Diesel von Volvo könnten damit nachgerüstet werden. Aber auch Lösungen für etliche Mercedes-Modelle bietet das Unternehmen an. Interessenten können sich bereits registrieren.
Die Ingenieure bei Dr. Pley haben ein SCR-System entwickelt, dass vorhandenen Komponenten aus dem hauseigenen SCR-Bausatz nutzt und mit einem Zusatzbauteil schon bei einer niedrigen Abgastemperaturen von 120 Grad funktioniert. Im Grundsatz ähnlich, wenn auch anders im Detail, geht Twintec Baumot vor. Der etablierte Umrüstbetrieb hat ebenfalls eine Registrierungsseite geschaltet.
Vor Inkrafttreten von Fahrverboten fertig
Die Branche ist zuversichtlich, auch eine große Nachfrage bewältigen zu können. Wie hoch die ist, hängt vom Preis ab; je nach Quelle ist nach jetziger Einschätzung mit rund 3.000 Euro (Einbau inklusive) zu rechnen. Auch bei den Terminen für die Fahrverbote sind die Zulieferer optimistisch – zumindest für Euro 5-Fahrzeuge. Anders sieht es bei den mindestens acht Jahre alten Euro 4-Dieseln aus; ob es hier einen wirtschaftlich tragfähigen Umbau geben wird, ist zweifelhaft.
Der ADAC jedenfalls begrüßt, dass das BMVI mit den technischen Vorschriften die lange geforderte Richtlinie umgesetzt hat: „Mit der Festschreibung der Anforderungen für die Hardware ist jetzt der Weg frei für die Zulassung dieser sinnvollen Möglichkeit, den Stickoxid-Ausstoß von älteren Diesel-Fahrzeugen signifikant zu senken. Der ADAC hat in Tests gezeigt, dass dieser Weg gangbar ist“, sagt Vizepräsident Ulrich Klaus Becker. Die Automobilhersteller sollten den Anbietern, so wünscht es sich der ADAC, zumindest die notwendigen technischen Informationen zur Verfügung stellen. Die Grundsatzdebatte um die Freigabe – BMVI legt Genehmigung vor, Volkswagen verweist auf mögliche Nachteile – sieht der Verein kritisch: „Wer von Drittanbietern abrät, muss selber liefern“, so ADAC Vizepräsident Becker. Für den ADAC steht außer Frage, dass die Kosten für die Nachrüstung nicht am Diesel-Fahrer hängen bleiben dürfen.
Wer zahlt?
Bisher konnten sich die Autohersteller in der Politik und gegen die Interessen der Autobesitzer durchsetzen. Die Verzögerung darf als das Ergebnis erfolgreicher Lobbyarbeit angesehen werden. Dass es nun eine qualitative Änderung gibt, ist eine gute Nachricht. Vielleicht ist der Fortschritt aber auch ein Ergebnis des Drucks der Autofahrer und der Händler: Letztere sitzen auf jungen und quasi-unverkäuflichen Euro 5-Pkw. Es ergibt einfach keinen Sinn, Millionen relativ neuer Diesel-Pkw erst durch Fahrverbote zu entwerten und dann deren Nachrüstung zu torpedieren. Die technische Umsetzung für die Hardware-Nachrüstung ist gelöst. Offen bleibt die entscheidende Frage: Wer zahlt?
Erschienen am 8. Januar bei heise Autos. Ein weiterer Beitrag kam am 30. Januar bei ZEIT ONLINE.