Im Kriechgang

Wenn sich der Stromabnehmer des 18 Meter langen Gelenkbusses zum Laden nach oben bewegt, sieht das aus wie bei einer elektrischen Lokomotive: Bei der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) ergänzen 17 Batterie-betriebene Linienbusse dieses Typs den Fuhrpark. Der polnische Hersteller Solaris soll in diesem Jahr außerdem 90 kurze E-Busse mit zwölf Metern Länge liefern. Sie werden konventionell über ein Kabel geladen. Die BVG verspricht, so 8.000 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einsparen zu können. Ein Projekt, dass den Eindruck erwecken könnte, dass im öffentlichen Personennahverkehr nach U-, S- und Straßenbahn nun auch der letzte Verkehrsträger schnell elektrifiziert wird. Davon aber sind die kommunalen Betriebe in Deutschland weit entfernt: Der Dieselbus wird noch lange dominieren, und ohne massive Subventionen und EU-Pflichtquoten würde sich noch weniger verändern.

Eigentlich sind die Voraussatzungen für den Einsatz von Batterie-elektrischen Linienbussen im ÖPNV ideal. Die Länge aller Strecken ist bekannt, die unterschiedlichen Routen und der Minutentakt auch. Alles ist planbar. Dennoch gibt es Einschränkungen, die Kosten verursachen, erklärt Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik beim Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Bei einem Dieselbus, so Schmitz, würde nach rund 500 Kilometern nachgetankt werden. Der Fahrer wechselt je nach Schichtkalender. Ein Elektrobus schafft je nach Batteriekapazität rund 200 Kilometer, bevor er an die Ladesäule muss. Es muss also ein Ersatz-Elektrobus mit vollem Speicher vorgehalten werden: „Um den Dieselbusse bei gleichem städtischen Serviceangebot komplett ersetzen zu können, bräuchten wir 15 Prozent mehr Elektrobusse“, so Schmitz.

Gut sei dagegen, dass die Verfügbarkeit der elektrischen Linienbusse erheblich angestiegen sei. In der Sprache der öffentlichen Verkehrsbetriebe ist damit die Verlässlichkeit im täglichen Einsatz gemeint. „Zu Beginn hat es viele Ausfälle gegeben“, berichtet Martin Schmitz vom VDV. Zum Beispiel Schwierigkeiten mit dem Lademanagement oder der Heizung. „Inzwischen aber liegt die Verfügbarkeit von elektrischen Linienbussen bei 90 bis 92 Prozent im Vergleich zu über 95 Prozent bei den Dieselfahrzeugen.“

Noch erzeugen die E-Busse höhere Kosten bei den Reparaturen. Diese werden bei kommunalen ÖPNV-Betrieben häufig in einer eigenen Werkstatt mit langfristig angestelltem Personal durchgeführt. Das ist auch der wichtigste Grund, aus dem die deutschen Hersteller MAN und Mercedes weiterhin führend sind beim Verkauf von Linienbussen: Die Ersatzteilversorgung gilt für den üblichen Lebenszeitraum von zehn bis zwölf Jahren als gesichert, und die Hersteller helfen sogar bei der Ausbildung der Mechaniker.

Mangelhafte Lieferfähigkeit deutscher Hersteller

Allerdings gibt es in der Branche auch viel Kritik an MAN und Mercedes. Dort, so heißt es aus Hintergrundgesprächen, arbeite man zu langsam an der Entwicklung und Lieferung von elektrischen Bussen. Mercedes weist auf Anfrage von ZEIT ONLINE darauf hin, dass man seit November 2018 den 12 Meter-Bus e-Citaro produziere und „demnächst“ den 18 Meter langen Gelenkzug starte. Verkaufszahlen nennt Mercedes nicht, sagt aber, dass man einen „dreistelligen Bestelleingang“ habe.

Um die Verbreitung von elektrischen Linienbussen transparent zu machen, hat der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen VDV eine Karte veröffentlicht, in der alle Projekte einsehbar sind. Gut 400 Linienbusse mit unterschiedlichen Elektrifizierungstechnologien sind im Betrieb, 750 weitere sind bestellt. Insgesamt fahren in der Republik aber geschätzt 36.000 Fahrzeuge, wenn man die Reisebusse einbezieht.

Es ist eine Besonderheit der Buswirtschaft, dass hier anders als zum Beispiel bei einem Volkswagen Golf sehr kleine Stückzahlen im so genannten Sondermaschinenbau gefertigt werden. Die Entwicklung vom Prototyp bis zum Serienprodukt geschieht Hand in Hand zwischen Industrie und ÖPNV-Betrieben. Das heißt, dass frühe Projekte von 2015 vorwiegend Versuchsträger waren, während jetzt tatsächlich finalisierte Fahrzeuge ausgeliefert werden.

Und die sind teuer. Wie hoch der Preis genau ist, verrät Mercedes genauso wenig wie andere Marktteilnehmer. Man sagt lediglich, dass es rund zweimal so viel wäre wie bei einem Dieselbus. Das wiederum lässt sich ungefähr eingrenzen: Ein konventionell angetriebener Linienbus mit 12 Metern Länge liegt bei circa 225.000 Euro ohne Mehrwertsteuer, ein Gelenkbus kommt auf rund 300.000 Euro. Demnach müsste ein kurzer Elektrobus bei 450.000 Euro liegen.

Geld, dass der ÖPNV nicht hat. Denn grundsätzlich sind kommunale Verkehrsbetriebe zwar für jede Großstadt systemrelevant und ein Merkmal für hohe Lebensqualität, aber zugleich sind sie ein steuerfinanziertes Zuschussgeschäft. Dieser Aspekt ermöglicht es dem Gesetzgeber, eindeutige und rigide Vorgaben zu machen.

Pflichtquote von 22,5 Prozent bis Ende 2025

So fordert die Clean Vehicle Directive der EU-Kommission, dass zwischen August 2021 und Ende 2025 22,5 Prozent aller neuen Linienbusse „emissionsfrei“ sind. Darunter fallen neben den Batterie- auch Brennstoffzellen-elektrische Busse, die kein Reichweitenproblem haben. Van Hool in den Niederlanden oder Toyota – unter anderem in Kooperation mit dem portugiesischen Hersteller Caetano – bauen diese Komplementärtechnologie, und Mercedes sieht die Auslieferung ab 2022 vor.

Weitere 22,5 Prozent müssen lediglich „sauber“ statt lokal emissionsfrei sein. Hierzu zählen zum Beispiel Plug-in-Hybridbusse, die eine gewisse Strecke elektrisch zurücklegen können, bevor der Dieselmotor anspringt. Auch Erdgasantriebe gelten als sauber, obwohl beim Transport über Pipelines sowie der Aufbereitung kleine Mengen des äußerst klimaschädlichen Methans freiwerden („Schlupf“) können.

Vor dem Hintergrund der EU-Pflichtquote müssten bald gut 500 der circa 2.300 pro Jahr neu zugelassenen Linienbusse einen E-Antrieb haben. Das entspricht ungefähr dem gesetzlich vorgeschriebenen Anteil von 22,5 Prozent. Und weil die Verkehrsbetriebe die notwendigen Summen – neben der Anschaffung muss auch massiv in die eigene Ladeinfrastruktur investiert werden – nicht aufbringen können, helfen das Bundesverkehrsministerium (BMVI) sowie das Bundesumweltministerium (BMU) mit 640 Millionen aus.

Klar ist: Ohne Linienbusse geht es nicht. Sie sind ein flexibel einsetzbarer und unverzichtbarer Teil des Verkehrssystems. Das gilt besonders für kleinere Kommunen, für die es unmöglich ist, sehr viel Geld für ein Schienensystem auszugeben. Dass die ÖPNV-Betriebe angesichts der Kosten von elektrischen Linienbussen zögerlich sind, ist verständlich. Im Ergebnis werden moderne Dieselbusse mit aufwändiger Abgasreinigungstechnik in diesem Jahrzehnt weiterhin das Stadtbild prägen. Sie werden erst langfristig und schrittweise durch emissionsfreie Fahrzeuge ersetzt werden, auch wenn Pilotprojekte ein anders Bild erzeugen sollen.

Erschienen bei ZEIT ONLINE. Ein weiterer Beitrag zum Thema lief bei heise Autos.

Bildquelle: Mercedes

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