Der Bequeme

Gemütlich hier. Ein Mercedes ist per Definition komfortabel. Der Charakter des Batterie-elektrischen EQB hat zusätzlich etwas Entschleunigendes. Er ist sanft gefedert, man sitzt aufrecht und genießt die Rundumsicht. Die ist nicht nur im Vergleich zu anderen SUVs gut: Die verglaste Fläche ist groß. Dazu kommen die relativ steil stehende A-Säule und die fast senkrecht stehenden Seitenfenster. Der EQB ist ein übersichtliches Elektroauto. Das macht den Umgang im Alltag simpel, und wegen der erwähnten Gemütlichkeit stellt sich automatisch der Cruising-Stil ein: Gleiten lassen. Bei Bedarf geht es im Testwagen, einem EQB 350 4Matic, mit Karacho voran. 215 Kilowatt Motorleistung und 520 Newtonmeter Drehmoment sind üppig eingeschenkt. In 6,2 Sekunden spurtet der EQB auf 100 km/h und zügig weiter bis zur abgeregelten Spitzengeschwindigkeit von 160 km/h. Weil die harte Gangart aber so gar nicht zum EQB passt, lässt man jede sportliche Ambition bleiben. Reinsetzen, Fahrhebel auf D, abhängen. Willkommen in der bequemen Welt eines elektrischen Mercedes.

Das Platzangebot des EQB ist großzügig. Bei den Proportionen ähnelt er mit 4,68 Meter Länge, 1,83 Meter Breite und 1,67 Meter Höhe einem Volkswagen Tiguan Allspace. Die 5-sitzige Konfiguration hat ein Kofferraumvolumen von 495 bis 1.710 Litern; beim 7-Sitzer sind es 465 bis 1.620 Liter. Seien wir ehrlich: Die dritte Reihe eignet sich nur für kleine Kinder, und selbst in der zweiten Reihe ist es wegen der niedrig montierten Sitzbank für große Menschen suboptimal. Immerhin ist die Neigung der Lehne in der zweiten Reihe verstellbar, und als Option bietet Mercedes die Verschiebbarkeit um 14 Zentimeter an. Im Grundsatz ist der EQB ein praktisches SUV, das sich von den unpraktischen SUVs dadurch abgrenzt, dass es nicht nur außen, sondern auch innen groß ist.

Was kann der Mercedes EQB als Elektroauto? Schließlich teilt er die Basis mit dem GLB, der von Verbrennungsmotoren vorangetrieben wird. Spätestens seit dem BMW iX3 wissen wir, dass das nicht zwangsläufig schlecht sein muss. Und so zeigt sich auch der EQB gelungen.

Automatische Rekuperation

Wie alle Elektroautos von Mercedes hat auch der EQB die automatische Rekuperation. Ja, die Verzögerung über den Elektromotor zur Bremsenergierückgewinnung lässt sich auf Wunsch über die Schaltwippen in mehreren Stufen regulieren. Am besten geht es in der erwähnten automatischen Position „D+ Auto“. Der Mercedes rollt meistens mit minimaler Rekuperation dahin. Sobald ein vorausfahrendes Fahrzeug oder eine Kurve erkannt werden, wird die Rekuperation schärfer gestellt. Das funktioniert intuitiv und einfach toll.

Auch die anderen Assistenzsysteme arbeiten gut, wenn auch nicht so perfekt wie in einem zuvor gefahrenen EQS, dessen Bruttolistenpreis allerdings die 200.000 Euro-Marke überschritten hat. Im Vergleich dieser Klasse läuft es auf hohem Niveau, und anders als bei Volkswagen, wo es im ID.4 bis heute Funktionsbegrenzungen und vereinzelte Bugs gibt, macht der EQB keine Fehler.

Routenplaner mit Vorkonditionierung

Was der ID.4 zum Beispiel erst im Jahresverlauf per Update bekommen soll, hat der EQB serienmäßig: Einen Routenplaner mit automatischer Vorkonditionierung. Die Batterie wird also vorm Ladestopp gezielt auf die ideale Starttemperatur gebracht. Das verkürzt die Wartezeit, und es verlängert die Lebensdauer der Batterie.

Das macht sich besonders bei Kälte bemerkbar. Im Testzeitraum gab es häufig Nachtfrost. Gute Ausgangsbedingungen, um den EQB ein wenig zu quälen. Nach zwei Tagen Draußenparken ohne Benutzung dürfte die Batterie durchgekühlt gewesen sein. An einem Morgen mit minus vier Grad ging es direkt zur Autobahn, und weil der Ladestand bereits gering war, wurde der erste Ladestopp bereits nach 60 Kilometern eingeplant.

Circa 20 Kilometer vorm Ziel war dann deutlich zu sehen, wie der Stromverbrauch anstieg. Das gewünschte Ergebnis: Die Ladeleistung von bis zu 100 Kilowatt (das wiederum ist nicht viel) war vorhanden. So muss es sein, aber so ist es eben noch lange nicht bei allen Herstellern. Vorbild bei der Routenplanung und Vorkonditionierung war Tesla. Der EQB hat gleichgezogen.

Große Stirnfläche, SUV-typische Ineffizienz

Allerdings ist der Energieinhalt der Batterie mit 66,5 Kilowattstunden (kWh) nur Mittelmaß. Weil der Mercedes eine große Stirnfläche hat, ist die Effizienz geringer als bei windschlüpfigen Limousinen: Im Durchschnitt waren es 25,2 kWh / 100 km, woraus eine mittlere Reichweite von 264 Kilometern resultiert. Wir waren häufig auf der Autobahn unterwegs, wo bei Richtgeschwindigkeit 26,6 kWh / 100 km ablesbar waren. Macht 250 km bei zugegeben winterlichen Bedingungen.

Deutlich besser sah es im Überlandbetrieb mit 20,1 kWh / 100 km (=331 km) aus, und im fließenden Stadtverkehr und warmgefahrenen Auto konnte dieser Wert nochmals leicht unterboten werden. Dass es auch ganz anders geht, zeigen Ultrakurzstrecken, wo der Stromverbrauch weit über 30 kWh hinausgehen kann. Die Gesetze des Autofahrens greifen eben auch beim Elektroauto.

Auf den EQB 250+ warten

Wer auf den Allradantrieb verzichten kann, sollte sich den EQB 250 ansehen. Er ist preisgünstiger und leichter, und dass die Motorleistung „nur“ 140 kW beträgt, sollte angesichts des gemächlichen Charakters des EQB verschmerzbar sein. Im EQA ist seit Kurzem auch der 250+ mit auf 70,5 kWh vergrößerter Batterie bestellbar. Wer die Zeit hat, sollte abwarten, ob diese Version auch im EQB kommt. Etwas mehr Energieinhalt, etwas weniger Spitzenleistung, dafür ein Schuss mehr Reichweite, ja, das würde passen.

Einen Abzug in der B-Note gibt es dafür, dass der EQB keine Prozentanzeige für den Ladestand der Batterie im Cockpit hat, sondern eine von-bis-Reichweitenanzeige. Schön dagegen ist die leicht verständliche Lösung der händischen Entriegelung des Ladesteckers über einen gut erkennbaren Knopf sowie die solide Abdeckung der Ladebuchse. Und seit dem Golf 7 wissen wir, wie nützlich es ist, wenn die Rückfahrkamera schmutzgeschützt unter dem Markenlabel lauert – so ist es auch beim EQB.

No sports, dafür gemütlich, das ist das Wesen des EQB. Der Grundpreis des 350 4Matic beträgt 55.013,70 Euro, wobei der Herstelleranteil der so genannten Innovationsprämie bereits abgezogen ist. Es kann noch der Staatsanteil von 5.000 Euro subtrahiert werden, macht 50.013,70 Euro. Der EQB 250 startet bei 44.367,15 Euro, wenn man alle Förderungen berücksichtigt. Der Mercedes-typische Mehrpreis hält sich also im vernünftigen Rahmen. Der Mercedes EQB ist über das Komforterlebnis hinaus ein praktisches Auto. Nur für die große Tour ist er nicht gemacht. Das können elektrische Limousinen einfach besser als SUVs. Im EQB wiederum ist die Erinnerung an die Ära der Geländewagen noch wach: Die geradlinigen Formen, die gute Übersichtlichkeit und die thronartige Sitzposition machen ihn zu einem rundum angenehmen Gefährt.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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