Frust und Freude beim vertragsfreien Laden

Es könnte alles so einfach sein – ist es aber nicht: Die Preise an der öffentlichen Ladeinfrastruktur für Elektroautos sind zu hoch. Für die meisten Fahrer, die häufig und viel unterwegs sind, bedeutet dass, einen Stromvertrag mit einem bestimmten Betreiber abzuschließen. Je höher die monatliche Grundgebühr, desto niedriger der Preis pro Kilowattstunde. Aber natürlich nur an den Standorten des jeweiligen Betreibers. Eine Alternative zu diesem Modell ist das vertragsfreie oder Ad-hoc Laden. Es kommt. Langsam, aber sicher. Wie gut funktioniert das Ad-hoc Laden in der Praxis? Was sind die Vor- und Nachteile? Probieren wir’s aus.

Die Wahlmöglichkeit zum Ad-hoc Laden ist für drei Gruppen wichtig: Zum einen für jene Menschen, die schlicht keine Vertragsbindung eingehen wollen. Zum anderen für die Gelegenheitslader, die nur selten die öffentliche Ladeinfrastruktur benutzen. Und zum Dritten für die Transitreisenden etwa aus Skandinavien, die nur kurz in Deutschland.

Die Definition des Ad-hoc Ladens steht in Artikel 2, Nummer 47, der Alternative Fuel Infrastructure Regulation (AFIR) der Europäischen Union, wie die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur auf Anfrage mitteilt: „Punktuelles Aufladen bezeichnet einen Aufladedienst, der von einem Endnutzer erworben wird, ohne dass dieser Endnutzer sich registrieren, eine schriftliche Vereinbarung schließen oder eine Geschäftsbeziehung mit dem Betreiber des Ladepunkts eingehen muss, die über den bloßen Erwerb des Aufladedienstes hinausgeht.“

Nur echt ohne App

Das ist die Theorie. In der Wirklichkeit ist es manchmal komplizierter. Etliche Betreiber nötigen die Elektroautofahrer, auch beim Ad-hoc Laden eine App zu installieren, bei der zum Beispiel die Kreditkartendaten hinterlegt werden müssen. Ist das etwa keine Registrierung? Hier gibt es eine juristische Unschärfe.

Gerd Bremer ist der Ansicht, dass nur das Aufladen ohne App echtes Ad hoc-Laden ist. Der Norddeutsche ist bekannt geworden, weil er eine auf Google Maps basierende Karte mit Standorten erstellt hat, die sofort ohne App zugänglich sind und an denen der Strom höchstens 50 Cent pro Kilowattstunde kostet. Und weil’s nicht weit ist, hat er das Gleiche auch für Dänemark gemacht.

Dass das Ad-hoc Laden ohne Registrierung immer häufiger möglich ist, hat wieder mit der AFIR zu tun: Alle seit April 2024 neu installierten Standorte mit einer Ladeleistung von 50 und mehr Kilowatt (kW) in Europa müssen einen Direktzahlterminal haben. Der Bestand muss bis 2027 nachgerüstet werden.

Solche Bezahlterminals sind in allen Lebensbereichen bis hin zum Wochenmarkt üblich, und außerhalb Deutschlands ist die Verbreitung selbstverständlicher als hier.

Gefühlte Schmerzgrenze 50 Cent pro Kilowattstunde

Für den Praxistest liefert neben Gerd Bremer die App AirElectric die Basis. Hier kann nach der Ladeleistung gefiltert werden (schließlich gibt es auch gemächliche AC-Standorte mit guten Ad-hoc Preisen) und außerdem nach dem Preis. Die Staffel reicht von höchstens 45 bis maximal 60 Cent pro Kilowattstunde. Um auf einem Level mit Gerd Bremers Karte zu bleiben, steht der Wert in der App auf 50 Cent.

Die Konfrontation mit der Lebenswirklichkeit zeigt: Das Ad-hoc Laden funktioniert. Es kann auch preisgünstig sein. Perfekt ist es aber noch nicht – Freude und Frust liegen nah beieinander.

Beispiel ALDI Nord. Mit einiger Verzögerung nach ALDI Süd baut dieser Teil von Deutschlands bekanntestem Discounter Ladestationen auf. In Neu Wulmstorf vor Hamburg gibt es registrierungsfrei 50 Kilowatt Ladeleistung für 44 Cent pro Kilowattstunde. Das ist die Papierform. Dort angekommen ist einer von zwei Ladepunkten frei – und schon gibt es nur 25 statt 50 kW.

Vorautorisierungsgebühr bis zu 150 Euro

Irritierend dürfte für viele Nutzer auch die so genannte Vorautorisierungsgebühr sein. ALDI Nord bucht formal 50 Euro im Voraus ab und ist beispielhaft für viele Anbieter. Der ADAC berichtet in einer aktuellen Auswertung von bis zu 150 Euro. Allerdings gab es bei ALDI Nord praktisch keine Rückbuchungsdauer; der ADAC berichtet von bis zu „mehreren Tagen“.

Viele Bau- und Supermärkte haben ähnliche Ladeangebote wie ALDI. Diese Unternehmen haben verstanden, dass es für sie finanziell attraktiver ist, die Infrastruktur selbst zu organisieren und abzurechnen, statt die riesigen Parkplätze in Bestlagen an Drittanbieter zu verpachten. Es ist mit einer deutlichen Zunahme dieser Standorte zu rechnen.

Die liegen zwar gerne ideal fürs Shopping, aber nicht für die große Reise an der Autobahn. Auf der Langstrecke sind 50 kW Ladeleistung außerdem nicht mehr zeitgemäß. 150 kW sollten es schon sein. Unter diesen Voraussetzungen gibt es nur wenige Anbieter. Zum Beispiel die JET-Tankstellen. An der A1 zwischen Hamburg und Bremen liegt so eine Tankstelle mit Lademöglichkeit. 150 kW gibt es, und 49 Cent sind fair, aber vier Ladepunkte geraten schnell an Grenzen.

Rare Konkurrenz an den Fernrouten

Ein anderer Anbieter, der es an den Fernrouten versucht, ist zum Beispiel Eviny, die gleichfalls 49 Cent aufrufen. Die Konkurrenz zu den etablierten Großbetreibern wie EnBW (hier werden ohne Vertrag bis laut ADAC bis zu 79 Cent verlangt) entwickelt sich stetig, aber nicht radikal.

Angesichts der noch nicht flächendeckenden Angebote an günstigen Ad-hoc Ladestandorten ist ein Elektroauto mit einer großen Traktionsbatterie nützlich. Wer nicht gezwungen ist zu laden, ist flexibler und kann Geld sparen.

Im Praxistest hat das Laden an allen Ad-hoc Ladepunkten störungsfrei funktioniert. Am besten geht das, wo bereits Bezahlterminals eingebaut sind. Und das ist immer häufiger der Fall. Keine Frage, das Ad-hoc Laden kann zu einer echten Konkurrenz für die Großbetreiber werden, falls die Elektroautofahrer das konsequent nutzen.

Abstriche sind wie erwähnt die häufig begrenzten Ladeleistungen, die möglichen Vorautorisierungsgebühren und der Mangel an Standorten entlang der Fernrouten. Es gibt aber keinen Grund anzunehmen, dass das nicht mittelfristig besser wird.

Dynamische Stromtarife auch beim Ad-hoc Laden

Bewegung in den Markt werden außerdem dynamische Ad-hoc Tarife bringen, also Strompreise, die in Abhängigkeit der Börsenpreise höher oder niedriger sind. Diese Tarife werden im Voraus verbindlich für den nächsten Tag festgelegt, also zum Beispiel um 15 Uhr für die 24 Stunden des Folgetags. Könnte das dazu führen, dass einzelne Elektroautofahrer um zwei Uhr nachts an der Schnellladesäule vorm Supermarkt stehen? Aber ja.

Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur berichtet unterdessen, dass es zeitnah mehr Preistransparenz geben wird. Schon jetzt sind wegen der AFIR Datenbereitstellungspflichten in Kraft. Hier ist faktisch eine Preismeldestelle entstanden. Ab 14. April 2026 müssen diese Daten in einem definierten und einheitlichen Format bereitgestellt werden. Das ist die Basis für die europaweite Preistransparenz an schnellen Ladestationen – sie kommt nicht so schnell wie erwünscht, aber sie kommt.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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