Theoretisch hat Erdgas als Kraftstoff in Verbrennungsmotoren viele Vorteile. Es produziert weniger klimawirksame Emissionen und andere giftige Abgase. Das zumindest ist der Ruf. Außerdem kann Erdgas, chemisch Methan und an zurzeit 868 Tankstellen unter dem Kürzel CNG (für Compressed Natural Gas) im Verkauf, relativ leicht aus Strom gewonnen werden. Es eignet sich darum als Speichermedium für die so genannte Sektorkopplung – damit ist der Zusammenschluss der bisher getrennten Energiemärkte für Strom, Wärme und Verkehr gemeint. Eigentlich müsste Erdgas erfolgreich sein. Das aber ist nicht der Fall.
In Zahlen: Im Mai 2017 wurden laut Kraftfahrtbundesamt (KBA) 157 Pkw mit Erdgas-Antrieb neu zugelassen. Seit Jahresbeginn sind es insgesamt 848 Autos. Ein Minus von 42,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Eine gegenläufige Entwicklung gibt es dagegen bei Elektroautos: Sie verzeichnen mit 7993 Neuzulassungen (Januar bis Mai) ein Plus von 126,8 Prozent.
Ein Grund für die sinkenden Absatzzahlen könnte das immer schlechtere Fahrzeugangebot sein. So hat zum Beispiel Mercedes keinen Nachfolger für den E200 NGD auf den Markt gebracht. Die positiven Ausnahmen sind Fiat, wo diverse Modelle vom Panda bis zum Doblo als Erdgasvariante erhältlich sind, und (dem Wegfall von Touran und Passat EcoFuel zum Trotz) der Volkswagen-Konzern. Die Marken Audi und Volkswagen gehen jetzt in die Offensive. Gegen den allgemeinen Trend, also im doppelten Sinn gegen den Strom.
Ziel: 2000 CNG-Tankstellen bis 2025
Das Ziel der aktuellen Initiative von Volkswagen und etlichen Partnern aus der Gas- und Mineralölwirtschaft: Bis 2025 sollen 2000 CNG-Tankstellen eine Million Fahrzeuge versorgen. Für Rückenwind sorgt der Gesetzgeber, der die steuerliche Förderung ab 2024 abschmelzen und erst 2026 einstellen will. Hierin ist ein Teil der Hoffnung der Beteiligten begründet – bei den Kraftstoffkosten pro Kilometer ist Erdgas im Regelfall günstiger als Diesel.
Der Volkswagen-Konzern wird auch bei den Produkten konkret. So wird der auf dem Wiener Motorensymposium präsentierte Dreizylinder-Turbomotor (66 kW / 90 PS) als TGI der einzige alternative Antrieb im neuen Polo sein. Ein Konkurrent zum Renault Zoe ist nicht vorgesehen. Auf dem „CNG Mobility Day“ in Hamburg zeigten die Wolfsburger zusätzlich den Prototyp eines Golf Variant, der statt des bekannten 1.4 TSI den aktuellen 1.5 TSI in der Ausführung mit variablem Turbolader und Millercycle unter der Haube hat. Ob und wann dieser Motor kommt, steht nicht fest.
Ganz nach vorne will Audi, wo nach jahrelangen Ankündigungen – etwa 2015 auf der IAA – ab Juli tatsächlich zwei Serienprodukte zu haben sind: Audi A4 Avant und A5 Sportback gehen unter dem Label g-tron an den Start. Attraktive Autos, bei denen die Preisdifferenz zum TDI entscheidend sein wird. Bei Flottenkunden geht es ums Geld.
Darüber hinaus bekommen fast alle CNG-Autos im Volkswagen-Konzern inklusive der Derivate bei Seat und Skoda einen Kunststofftank. Der Golf TGI war zu Beginn noch mit Druckbehältern aus Metall ausgerüstet. Mängel und Rückrufe haben hier offenbar einen Wechsel bewirkt. Allein der Eco-Up und seine Konzerngeschwister fahren weiterhin mit dem Metalltank.
Kein signifikanter Vorteil eines Kraftstoffs
Die Frage nach Erdgas als Kraftstoff ist neben der Verfügbarkeit von Produkten eine grundsätzliche. heise Autos hatte vor gut einem Jahr darüber berichtet. Inzwischen hat der Golf ein optisches und technisches Facelift erhalten, und der Vergleich der CO2-Emissionen hat sich verschoben. Bemerkenswert: Die CO2-Werte sind nicht wie bei Überarbeitungen üblich gesunken, sondern gestiegen – beim TDI überproportional. Aus Unternehmenskreisen heißt es hierzu, dass Volkswagen nicht mehr alle Spielräume bei der Typprüfung ausnutze. So emittiert der TGI (Versionen mit Handschaltung) mit 81 kW (110 PS) 98 g CO2 / km. Der 1.0 TSI mit gleicher Motorleistung kommt auf 109 g CO2 / km und der 1.6 TDI mit 85 kW (115 PS) auf 106 g CO / km.
Das Bild, dass sich hier ergibt, lässt den Schluss zu, dass keiner der Kraftstoffe einen signifikanten Vorteil für sich nachweisen kann. Umweltverbände kritisieren darüber hinaus den Methanschlupf, also das Entweichen von Erdgas in der Transportkette. Das führe dazu, dass das Minus beim CO2 mehr als verspielt wird, weil Methan circa 25-mal so klimaaktiv ist wie Kohlendioxid.
Neue Messreihen zu Stickoxiden gibt es noch nicht. Auf Basis der alten Daten (2015 / 2016) des ADAC EcoTests kam der Golf TSI auf 16, der TGI auf 21 und der TDI auf 37 mg/km. Was immer wegen der Umwälzungen bei den Messverfahren von diesen Werten zu halten ist, die These, Erdgas als Kraftstoff führe automatisch zu hervorragendem Emissionsverhalten, ist offensichtlich nicht richtig. Daran ändern die Argumente nichts, ein Motor müsse nur konsequent auf CNG und am besten monovalent ausgelegt sein, denn diese Autos gibt es auf absehbare Zeit nicht zu kaufen.
Chance Sektorkopplung
Die Chance von Methan bleibt die Sektorkopplung. In der Diskussion um die Energiewende wird gerne vergessen, dass nicht Verkehr oder Strom, sondern Wärme den mit Abstand größten Anteil am deutschen Endenergiebedarf ausmacht. Es ist langfristig vorstellbar, dass die intensive Heizperiode im tiefsten Winter durch Erdgas gedeckt wird, der aus überschüssigem Strom produziert und im vorhandenen Netz gespeichert wird. Hierzu wird zuerst durch Elektrolyse Wasserstoff produziert, der wiederum mit Kohlendioxid (Sabatier-Prozess) zu Methan reagiert. Das funktioniert problemlos.
Diese Perspektive wird allerdings nur langfristig relevant, wahrscheinlich nach 2030 und vielleicht erst 2050. Bis dahin wird klar sein, welche Rolle der Verbrennungsmotor im Neuwagen-Pkw noch spielt. Die Prognose ist: Keine.
Erschienen am 16. Juni bei heise Autos.