Der Einstieg in die Tesla-Welt beginnt bei 41.970 Euro. So viel verlangt der kalifornische Hersteller für das Model 3 Standard Range Plus, abgekürzt SR+. Der Zuschuss, der sich aus 3.000 Euro brutto vom Steuerzahler und 3.000 Euro netto von Tesla zur so genannten Umweltprämie addiert, ist bei dieser Summe einberechnet. Das SR+ ist, so könnte man meinen, lediglich die abgespeckte Long Range-Version. Ohne vorderen Elektromotor, mit weniger Batteriekapazität und weniger Leistung beim Sprinten und Laden. Wegen des vergleichsweise geringen Leergewichts von 1.684 Kilogramm ist das SR+ aber zugleich der agilste Tesla: Das Model 3 SR+ hat den niedrigsten Preis und den höchsten Spaßfaktor. Richtig geil, das Teil.
Der Testwagen blieb, und das ist ungewöhnlich für Tesla, zwei Wochen lang. Genug Gelegenheit, einige Feinheiten herauszufinden. Bei der direkt übersetzten Lenkung zum Beispiel wirkte die Einstellung „Komfort“ am harmonischsten: Die Bedienkräfte sind gering, und trotzdem überzeugen Präzision und Rückmeldung. In Verbindung mit dem Heckantrieb ergibt sich das bekannt einzigartige Fahrverhalten dieses seltener werdenden Layouts. Dynamisch und direkt.
Nur sau- statt brachial schnell
Die von Tesla mit „255 PS“ (188 kW) angegebene Motorleistung kann angesichts des 358 kW starken Model 3 Performance zu der Annahme führen, dieses Elektroauto wäre langsam. Ein Irrtum: Das SR+ beschleunigt in 5,6 Sekunden auf 100 km/h. Das liegt ungefähr auf dem Niveau der Rallye-Ikone Lancia Delta HF Integrale 16V. Mit dem Unterschied, dass heute das pure Durchtreten des Strompedals ausreicht, um diesen Wert auch wirklich zu erzielen. Das SR+ ist sauschnell. Dass die Performance-Version nochmals brachial schneller ist – der Standardspurt ist in 3,4 Sekunden erledigt –, zeigt nur, dass Elektroautos faszinierend verführerisch sein können.
Seltsamerweise reduzieren sich viele Diskussionen beim Model 3SR+ auf Reichweite und Ladegeschwindigkeit. Ein Elektroauto besteht jedoch aus mehr als diesen beiden Parametern. Verkürzt lässt sich dazu sagen: Wer häufig Autobahn fährt, sollte zur Long Range-Version greifen. Wer nur ab und zu auf A7 und A2 unterwegs ist, ist mit dem SR+ bestens bedient. Das liegt an der Kombination aus exzellentem Luftwiderstandsbeiwert (cW 0,23), niedriger Stirnfläche, entsprechend geringem Stromverbrauch sowie einer ziemlich hohen Ladeleistung- und damit Geschwindigkeit.
Rund 250 km bei Richtgeschwindigkeit
Bei 130 km/h (Achtung, Tesla-Tachos haben so gut wie keine Abweichung) und mit Winterreifen ergab die Stichprobe einen Verbrauchswert von 22 Kilowattstunden (kWh) auf 100 km. Mit Sommerreifen waren es 20,3 kWh. Legt man den im Fahrzeugschein eingetragenen Energieinhalt der Batterie von 53 Kilowattstunden zu Grunde, sind also rund 250 km Reichweite möglich. Ein respektabler Aktionsradius, zumal als zweiter positiver Faktor die sehr hohe Ladeleistung abgerufen werden kann.
Es ist bekannt, dass die Ladekurve des Model 3 steil abfällt, die Peakleistung also nur bei einem niedrigen Ladestand (abgekürzt SOC für State of Charge) erreichbar ist. Das ist kein Problem, weil das Navigationssystem den SOC am Zielort recht genau prognostiziert und es darum zu Probierzwecken mühelos möglich war, mit ein paar Prozentpunkten Restkapazität an der DC-Ladesäule anzukommen.
172 kW reale Ladeleistung
Beim Anbieter Ionity, wo die angebotene Leistung bis zu 350 kW beträgt, zeigte die Säule in der Spitze 172 kW an. Top! Ein Renault Zoe mit ähnlich großer Batterie kam hier auf höchstens 46 kW und brach frühzeitig weiter ein. Der Tesla dagegen lag selbst bei einem SOC von 70 Prozent noch über 50 kW. Ergebnis: Beim Model 3 SR+ waren in einer Viertelstunde 30 kWh in der Batterie. So geht das.
Ganz offensichtlich funktioniert auch das Temperaturmanagement des Tesla Model 3 SR+ hervorragend. Nach einer zügigen Autobahnetappe mit wechselnden Geschwindigkeiten bis über 200 km/h (Verbrauch: 36,4 kWh) war anders als bei einer 2019 gefahrenen Performance-Version kein Nachlassen der Ladeleistung feststellbar: An einem Supercharger v2, der bis zu 150 kW hergibt, lag die maximale Ladeleistung zu Beginn bei 141 kW.
Vollständige Serienausstattung
Den Ruf einer mageren Basisausstattung bestätigt das Model 3 SR+ auch sonst nicht. Das Soundsystem hat einen sauber abgestimmten Klangkörper (obwohl der Subwoofer fehlt), das Interieur ist solide verarbeitet (auch wenn die Holzleiste vermisst wird), und die Bedienbarkeit über den zentralen Screen funktioniert so simpel wie bei allen anderen Teslas. Wer ein Smartphone benutzen kann, wird sich zu Hause fühlen.
Serienmäßig sind anders als zum Marktstart inzwischen die wichtigsten Funktionen des Fahrassistenzsystems namens Autopilot: Für die adaptive Geschwindigkeitsregelung und die Mittelspurführung muss kein Aufpreis bezahlt werden. Die 6.300 Euro für die erweiterten Funktionen („Full Self-Driving Capability“) kann man sich getrost sparen, selbst wenn Tesla jüngst das automatische Anhalten an roten Ampeln für den US-Markt gestartet hat.
Widersinnige Auslegung des Tempomaten
Das Vertrauen in diese avisierten Fähigkeiten ist nämlich eingeschränkt, weil Tesla die Fehler, die bereits beim letzten Test eines Model 3 aufgefallen waren, nicht durch ein Update korrigiert hat. In aller Kürze das Wichtigste: Es ist nicht möglich, eine Geschwindigkeit unterhalb des erlaubten Tempolimits zu setzen. Das Model 3 beschleunigt auf den in der Offline-Karte hinterlegten Wert – eine Verkehrszeichenerkennung gibt es nicht, obwohl viele Kameras eingebaut sind.
Und das erzeugt Fehler: So identifizierte der Testwagen eine auf 80 km/h beschränkte Bundesstraße in Hamburg als Autobahn und versuchte zügig, auf 130 km/h zu kommen. Alle Beschleunigungs- und Bremsvorgänge sind außerdem ziemlich ruppig. Dass es paradoxerweise möglich ist, Geschwindigkeiten oberhalb des gesetzlich Erlaubten exakt zu setzen – also zum Beispiel 62 in der Stadt – und unterhalb gar nicht, ist eine widersinnige Auslegung.
Wiederholte Phantombremsungen
Als zweiter häufiger Mangel erkennt der adaptive Tempomat (einfacher Hebelzug, keine Spurführung) besonders abseits der Autobahn Objekte oder Engstellen, die nicht vorhanden oder unkritisch sind. Stichwort: Phantombremsung. Das führte mehrfach zu erbosten Gesten von Hinterherfahrenden, die sich angesichts unmotivierter Bremsvorgänge provoziert oder gefährdet fühlten.
Dass die automatische Ver- und Entriegelung via App nur manchmal läuft – Tesla verweist darauf, dass das bei Android-Smartphones vorkommen kann –, die Hands-off-detection auslöst, obwohl die Hände am Lenkrad sind und es Area View trotz vorhandener Hardware nicht gibt, wird dabei zur Nebensächlichkeit. It’s a Software Company? Mit etwas Nacharbeit schon.
Sparsam und sportlich
Den positiven Gesamteindruck kann das nicht nachhaltig beschädigen. Besonders der Antriebsstrang ist herausragend, weil er Leistungsstärke mit Effizienz verbindet. Der Durchschnittsverbrauch über 1.008 Testkilometer lag bei 18,3 kWh / 100 km, woraus sich rechnerisch 284 km Reichweite (WLTP-Normwert laut Webseite: 409 km) ergeben. Im Überlandbetrieb zog das SR+ bei trockener Straße und günstigen Außentemperaturen 13,8 kWh / 100 km (vorher mit Winterreifen: 14,6 kWh); in der City waren es bei flüssigem Verkehr 11,2 kWh / 100 km (13,5 kWh).
Das alles sind sehr niedrige Werte, zumal das SR+ gelegentlich getreten wurde. Zum Beispiel auf einer verwinkelten und gut asphaltierten Deichstraße: einlenken, Vollstrom geben, bremsen, nächste Kurve. Es lässt sich sogar leicht mit der Hinterachse lenken, und auf losem Untergrund sind harmlose Drifts möglich. Die Traktionskontrolle kam mangels nasser Fahrbahn selten zum Einsatz, und Tesla hat die Kennlinie des Fahrpedals im Vergleich zu frühen Model S erheblich entschärft.
Ohne echte Alternative
Das Konzept des Tesla Model 3 ist schlicht gelungen. Das SR+ ist nicht weniger als ein großer Wurf. Und es ist weiterhin traurig zu sehen, dass es keinen Wettbewerber gibt. Bei der Karosseriegrundform ähnelt vielleicht ein Hyundai Ioniq Elektro dem Model 3. Der Hyundai kann aber bei Ladeleistung, Reichweite und Dynamik nicht ansatzweise mithalten. BMW lässt sich derweil Zeit mit dem Marktstart des i4 und muss zusehen, wie Tesla sich die Kunden wegschnappt. Das Gleiche gilt für Audi und Mercedes.
Neben den Assistenzsystemen, die hoffentlich bald verbessert werden, fallen als Abstrich nur die Geräusche auf: Der Wind ist lauter als etwa bei einem Volkswagen e-Golf, und der eingeschränkte Abrollkomfort der 19-Zoll-Sommerreifen wird durch die nicht klassengemäße akustische Dämmung des Fahrwerkslärms betont.
Ohne Aufpreis glücklich
Den Aufpreis von 1.600 Euro für die schicken Felgen sollten nur jene investieren, die es im Alltag immer sportlich direkt wollen. Die glatten Radabdeckungen des Basismodells mögen schmucklos sein, aber hier gibt es kostengünstige Abhilfe: Unter den aerodynamisch optimierten Plastikkappen verbergen sich hübsch gezeichnete Aluräder. Für 50 Euro bietet Tesla Radnabenabdeckungen mit dem Markenlogo an. Was zum Herzens-Tesla fehlt, ist in vielen Fällen nur die Wunschfarbe (1.050 bis 2.100 Euro) und bei einigen Anwendungen die Anhängerkupplung (1.060 Euro).
Das Tesla Model 3 SR+ ist in der Summe der Eigenschaften eine echte Empfehlung und ein fetter Einstieg ins Batterie-elektrische Fahren. Es überzeugt durch seine Agilität auf der Straße und seine Dynamik an der Ladesäule bei gleichzeitig höchster Effizienz. Dass nebenbei Platz für eine Familie und Gepäck ist, kommt obendrauf. Selbst ohne Extras erhalten die Kunden ein vollständiges und hochwertiges Elektroauto, dessen Preis über eine erwartbare Konjunkturspritze sogar unter 40.000 Euro sinken könnte. Trotz Schwächen bei Geräuschkomfort und Fahrassistenzsystemen bleibt nach Abschluss des Tests nur eine Frage, die laut gestellt oder sogar gebrüllt werden muss: Wo bitte bleibst Du, deutsche Autoindustrie?
Erschienen bei heise Autos.