Die Budget-Batterie

Als der chinesische Hersteller BYD – ein Akronym für Build Your Dreams – im November das Elektroauto D1 vorgestellt hat, war die Fachwelt einmal mehr erstaunt: Das Design des Kompaktwagens zeigt dreiste Anleihen beim Volkswagen ID.3. Einzelne Elemente wie etwa die Felgen wirken, als wären sie direkt kopiert worden. Was den BYD D1 interessant macht, ist aber nicht die äußere Gestalt: Das Elektroauto nutzt besonders simple und günstige Batteriezellen. Deren Kürzel LFP steht für Lithium-Eisenphosphat. Diese Zellen wiederum sind so eng und geschickt gepackt im Fahrzeugboden integriert, dass die Konkurrenz mit größter Aufmerksamkeit auf BYD guckt. Die Prognose: Im preissensiblen Segment, also bei den Klein- und Kleinstwagen, werden deutsche und andere europäische Hersteller bald LFP-Zellen verwenden. Die Richtung der Inspiration hat sich in diesem Fall umgekehrt.

Herbert Diess, Vorstandsvorsitzender von Volkswagen, schreibt bei LinkedIn, man plane „für das Small BEV“ mit solchen LFP-Batterien. BEV, das steht für Battery Electric Vehicle, und Small ist alles unterhalb des ID.3. In der Nomenklatur von Volkswagen also der ID.2 und der ID.1, die ein elektrischer Ersatz für Polo und Up werden. Irgendwann zwischen 2023 und 2025 kommen diese Autos auf den Markt. Und Wettbewerbsfahrzeuge von Opel oder Citroen sind gut vorstellbar.

Eigentlich hatte Diess über die Weiterverwendung von Batteriezellen nach der Nutzung im Elektroauto, dem so genannten Second Life gesprochen, als er LFP-Zellen erwähnte: „Eisenphosphat-Batterien werden schon heute bei zwei Millionen Kilometern und 16 Jahren Laufzeit gesehen“, so der Volkswagen-Vorstandsvorsitzende, allerdings seien sie schwerer und hätten geringere Reichweiten.

Wie genau sich LFP-Zellen verhalten, erklärt Markus Hackmann von der Technologieberatung P3: „Lithium-Eisenphosphat-Zellen haben eine geringe volumetrische und gravimetrische Energiedichte“, so Hackmann. Sie brauchen also mehr Platz oder anders formuliert: Im gleichen Bauraum lässt sich weniger Reichweite unterbringen. Ein Aspekt, der bei Klein- und Kleinstwagen nachrangig ist, weil sie ohnehin selten für Fernreisen benutzt werden.

LFP-Zellen sind in jeder Hinsicht robust. Während die heute üblichen Zellen mit Nickel, Kobalt und Mangan („NCM“) thermisch sensibel sind und gekühlt oder geheizt werden müssen, kann man sich diesen Aufwand bei LFP sparen. Das geht zwar zu Lasten der Lebensdauer nach Ladezyklen. Aber die ist mit bis zu 10.000 Zyklen ohnehin viel höher als für ein Autoleben notwendig.

„Die Unempfindlichkeit von LFP-Zellen macht einen engen Zusammenbau zu einem Batteriesystem möglich“, erklärt Markus Hackmann von P3. Cell-to-pack oder Cell-to-Vehicle nennen sich die Verfahren, die zum Beispiel der chinesische Hersteller BYD anwendet. Hackmann ergänzt: „Wir sehen solche Zellen darum zuerst im Niedrigpreissegment und bei Nutzfahrzeugen, wo die Reichweite nicht so entscheidend ist. LFP-Zellen haben mittelfristig das Potenzial, als auch in höheren Segmenten eingesetzt zu werden.“

Auch Tesla setzt auf LFP-Zellen

Dass diese bewährte Zellchemie zurzeit viel Aufmerksamkeit erregt, liegt neben der großen Aktivität chinesischer Hersteller an Tesla. Das in Shanghai produzierte Model 3 ist wie die Version für den deutschen Markt mit großer („Long Range“) und mit kleinerer Reichweite („Standard Range Plus“) erhältlich. Bisher wurde das Model 3 für den europäischen Markt grundsätzlich mit den teuren Zellen angeboten, während die Basisvariante in China LFP-Zellen erhält. Welche lebenspraktischen Stärken und Abstriche sich daraus ergeben, ist bisher nicht ausreichend getestet. Und ob der EU-Markt die chinesische LFP-Variante bekommt, hat die Pressestelle bis zum Redaktionsschluss nicht beantwortet. Die pure Tatsache, dass Tesla etwas macht, versetzt den Rest der Autoindustrie jedoch in Alarmstimmung.

Wie so oft ist der Treiber der Entwicklung das Geld. Die Kosten für Batteriezellen sinken zwar sukzessive. Trotzdem schafft es die Industrie bisher kaum, wirklich preisgünstige Elektroautos anzubieten. Ein Grund sind die hohen Preise von Kobalt, aktuell rund 27.000 Euro pro Tonne, und Nickel, derzeit gut 13.000 Euro pro Tonne. Beide Metalle werden für die Kathode in den meisten Elektroautos gebraucht.

Lithium-Eisenphosphat-Zellen dagegen verzichten darauf. Sie sind kobaltfrei. Es ist darum erwartbar, dass die Autoindustrie in der öffentlichen Kommunikation ähnlich heuchlerisch auftritt wie bei den so genannten veganen Innenräumen: Kunststoffnachbildung ist günstiger als Leder. Eisen und Phosphat kosten einen Bruchteil von Kobalt und Nickel. Wenn nebenbei der Tierschutz oder die Förderbedingungen in den Minen profitieren, ist das nicht das ursprüngliche Ziel, sondern ein willkommener Nebeneffekt.

Es ist offensichtlich, dass die Diskussion um die richtige Zellchemie dynamisch ist. Im Moment differenziert sich der Markt: Extrem robuste und preisgünstige LFP-Batterien werden dort zum Einsatz kommen, wo maximale Reichweite und Performance zweitrangig sind. Wer ein Elektroauto auf langen Strecken fahren will, kommt aber aktuell nicht an den hochwertigen NCM-Zellen vorbei. Ob diese in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts durch Festelektrolytzellen nach oben ergänzt werden, ist aus aktueller Perspektive nicht geklärt.

Für Käuferinnen und Käufer mit weniger Geld ist die simple Lithium-Eisenphosphat-Zellchemie eine schöne Aussicht. Sie müssen zwar eine Einschränkung bei der Reichweite hinnehmen, brauchen sich aber keine Sorgen über die Dauerhaltbarkeit oder zu machen. Zugleich ist klar, dass diese Batterien nach der Nutzung im Pkw . Und wenn der Tag kommt, an dem sie komplett unbrauchbar sind, lassen sich LFP-Zellen vergleichsweise leicht recyceln.

Erschienen bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Screenshot Tesla

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