2023 wird das Jahr der Subventionsschlusspanik. Ab dem Erstzulassungsdatum 1. September gibt es keine Direktförderung mehr für gewerbliche Käuferinnen und Käufer. Der so genannte Umweltbonus von bis zu 7.177,50 Euro auf den Bruttolistenpreis gilt nur noch für Privatkunden. Und auch die werden sich auf ein weiteres Abschmelzen einstellen müssen: Ab dem Neujahrstag 2024 liegt der Höchstbetrag bei 4.785 Euro. Und das auch nur, bis die 3,4 Milliarden Euro im Klima- und Transformationsfond (KTF) ausgegeben sind.
Wir bei ELECTRIVE.net teilen allerdings die pessimistische Einschätzung, dass die Nachfrage nach Elektroautos darum einzubrechen droht, ausdrücklich nicht. Unsere drei Gegenargumente: 1. Die Bemessungsgrundlage für die Dienstwagensteuer bleibt weiterhin reduziert. Auf ein Viertel des üblichen Prozents pro Monat bei einem Bruttolistenpreis von bis zu 60.000 Euro. Darüber immerhin noch auf die Hälfte. Der Pull-Effekt dieser indirekten Subvention ist gigantisch. 2. Die Menschen wollen Elektroautos. Punkt. 3. Das Angebot wird größer und attraktiver.
In unserem Blick voraus verzichten wir auf Plug-in-Hybride und fokussieren auf Batterie-elektrische Autos. Und weil es inzwischen einfach zu viele sind, erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Trotzdem wollen wir die wichtigsten Neuerungen vom Exoten über den Alltagscruiser bis zum Preisbrecher aufzählen.
Fangen wir bei Stellantis an. Der Multi-Marken-Konzern überarbeitet die Plattform e-CMP. Sämtliche Modelle vom Peugeot e-2008 bis zum Citroen e-C4 bekommen eine verbesserte Traktionsbatterie mit 50,4 Kilowattstunden (kWh) Netto-Energieinhalt. Wir vermuten, dass der neue Jeep Avenger beliebt werden könnte, weil er ein relativ preisgünstiges und formschönes Mini-SUV ist. Geht es nach den Forendiskussionen, müssten dagegen die Kombis Opel e-Astra Sports Tourer und Peugeot e-308 SW Verkaufshits werden. Warten wir’s ab.
Bei Mercedes beginnt der Hochlauf der Auslieferung von EQE, EQS sowie den dazugehörigen SUV-Derivaten. Dass der EQC ausläuft, ist gut für die Nomenklatur, weil Mercedes das Kürzel für die neue Plattform MMA braucht: Es wird eine elektrische C-Klasse geben, und wir sind sicher, dass sie EQC heißen wird. Erlkönige sind vielfach abgelichtet worden. Vielleicht stellen die Stuttgarter eine seriennahe Studie vor. Den Marktstart erwarten wir leider frühestens 2024. In dem Jahr kommt auch der EQG auf die Straße, das elektrische G-Modell, dessen Premiere wir aber bald sehen werden.
Der EQG wird bei Magna in Österreich vom Band laufen. So wie der Fisker Ocean. Gut zehn Jahre nach dem Karma hat es Henrik Fisker wieder bis zu einem Serienprodukt geschafft. Fisker ist Designer und hat unter anderem den BMW Z8 und den Aston Martin DB9 gestaltet. Der Ocean wird eine ästhetische Alternative im Segment der beliebigen asiatischen e-SUVs. Neben der Auslieferung des Ocean erwarten wir die Premiere des Fisker Pear, einer Mischung aus Kompakt-Van und SUV. Der Pear soll in Ohio gefertigt werden; über eine Produktion in Europa wird diskutiert.
Unterdessen versorgt BMW den Markt mit einer zunehmenden Zahl von Elektroautos. Wir können nicht ausschließen, dass die Taktik ziemlich geschickt ist, einerseits öffentlich zu behaupten, man stehe dem Elektroauto als Alleinlösung skeptisch gegenüber, und andererseits zugleich immer mehr davon anzubieten. Für uns in Deutschland dürfte der iX1 wichtig werden. Nicht zu groß. Nicht zu teuer. Nicht zu auffällig. In der Luxusklasse kommt der i7. Und natürlich beobachten wir, ob die Kleinstserie des X5 Hydrogen tatsächlich fährt. Viel wichtiger für BMW ist die Premiere des i5. Er wird optisch konventionell und basiert wie die meisten elektrischen BMWs auf der Cluster Architecture II (CLAR). Und, liebe Dienstwagenfahrer, es wird ihn auch als Kombi geben.
Bei der Konzernmarke Mini erwarten wir den zweifachen Stromstoß: Der traditionelle Dreitürer wird abgelöst und in China zusammen mit Great Wall Motors gebaut. Dazu kommt der fünftürige Aceman, der Kunden von Clubman und Countryman abziehen könnte.
Im Volkswagen-Konzern erwarten wir, dass die Überarbeitung des MEB – zum Beispiel mit dem ID.3, der ab dem vierten Quartal in leicht veränderter Form kommt – endlich zur Behebung der Softwareprobleme führt. Dass es mit dem e-Passat namens ID.7 (stand getarnt auf der CES) auch ein weiteres Modell gibt, ist in diesem Zusammenhang fast unwichtig. In der Kooperation mit Ford wird auch ein MEB-Elektroauto erscheinen: Ein kompaktes Crossover.
Reichlich Verzögerung gibt es auch bei der Premium Platform Electric (PPE). Auf dem 800 Volt-System basieren der Porsche Macan EV sowie der Audi A6 e-tron sowie das SUV Q6 e-tron. Folgt den Studien endlich die Wirklichkeit?
Weiter unten in der Preisskala werden sich viele Interessenten auf den neuen Hyundai Kona EV freuen. Und die technische Modellpflege des Ioniq 5 bringt endlich die Vorkonditionierung für die Ladestopps. Die ist selbstverständlich auch im Ioniq 6 vorhanden, dem größten Formenwagnis seit dem Toyota Mirai I.
Bei der Konzernmarke Kia erwarten wir mit dem EV9 einen der vielen fetten Brocken, die auf uns zurollen. Die US-Amerikaner nennen diese Klasse Fullsize-SUV. Der Vorteil dieses Formats dürfte ein gutes Platzangebot sein; es sollte sich aber jeder darüber im Klaren sein, dass europäische Städte eine gewachsene Struktur haben und Übermaße irgendwann anstrengend werden.
Üppig wird es 2023 auch bei Geely mit den Marken Volvo – hier kommt zum Jahresende der EV90 – und Polestar mit der schlichten Bezeichnung 3. Sie wollen drei Nummer kleiner? Bitteschön: Der Volvo EX30 ist der schwedisch designte Smart #1, dem wiederum die Schrägheckvariante #3 zur Seite gestellt wird.
Den Markt der Elektroautos mit verträglichen Außenmaßen bedient Renault mit dem R5 electric, dessen Serienpremiere wir in der zweiten Jahreshälfte entgegensehen. Mit einer Übergabe an die ersten Besitzer ist aber erst 2024 zu rechnen, und kurz darauf folgt der R4 eletric. Den Fans der Nutzfahrzeuge empfehlen wir ebenfalls, Renault zu beobachten. Vom Kangoo Rapid Z.E. über den Master bis zu schweren Zugmaschinen gibt es etliche Initiativprodukte, bei denen in Einzelfällen auch Brennstoffzellen-elektrische Antriebe kommen.
Bevor wir zu den chinesischen Marken kommen, wollen wir uns die Japaner angucken: Nach dem Fehlstart des Toyota bZ4X freuen wir uns auf eine erste Ausfahrt, die wahrscheinlich mit dem baugleichen Subaru Solterra stattfinden wird. Toyota wird darüber hinaus die Serienversion des bZ3X compact vorstellen. Und natürlich fragen wir uns, ob die Limousine bZ3 zu uns nach Europa kommt. Verdient hätten wir es.
Der Toyota bZ3 wird nämlich im Joint Venture mit dem BYD Seal in China produziert und bekommt die gleiche Traktionsbatterie: Die BYD Blade 3.0 ist neben der CATL Qilin das derzeit innovativste Batteriesystem. BYD kombiniert LFP-Zellen mit 800 Volt Bordspannung und einer Teilintegration in die Karosserie.
Neben dem Seal wirken die anderen Neuheiten von BYD fast banal. Es erscheinen das kleine SUV Atto 3, das große SUV Tang und die Limousine Han. Falls es sich nicht herumgesprochen hat – BYD ist nach Tesla der größte Elektroautobauer weltweit. Die Stärke von BYD ist, dass sowohl die Autos als auch die Batterie aus dem eigenen Haus kommen. Build Your Dreams hat nach unserer Einschätzung den glaubwürdigsten Ansatz eines chinesischen Herstellers, tatsächlich bei uns Fuß zu fassen.
Das wird zwar auch von NIO suggeriert. Niemand sollte aber ignorieren, dass NIO ähnlich wie Xpeng im Vergleich zu BYD ein Startup ist. Mag die Öffentlichkeitsarbeit auch dank der Battery Swap Stationen in Kooperation mit EnBW erfolgreich sein – mit Preisen, die tendenziell über Tesla liegen, muss NIO erst beweisen, dass sie sich im harten Wettbewerb behaupten können. Es kommen der ET7 und der ET5 und vielleicht auch das SUV EL7.
Der Normalo freut sich eher über den MG4 electric von SAIC oder den oder die Ora Funky Cat von GWM, die über die Emil Frey Gruppe vertrieben wird. Ein echtes Schnäppchen gibt es mit der Funky Cat aber nicht: Mit einem Einstiegspreis von 38.900 Euro und nur 45 kWh Energieinhalt, geringer Ladeleistung sowie einem kleinen Kofferraum bewegt man sich nur beim Kaufpreis nah an europäischen Konkurrenten. Siehe oben: Der Jeep Avenger in der vollausgestatteten 1st Edition kostet 39.900 Euro und hat 51 kWh. Die Funky Cat ist, wer hätte das aus China vermutet, zu teuer.
Wir hätten gerne noch etwas über Nissan erzählt – warum werden Kei Cars wie der Sakura eigentlich nicht zu uns exportiert? Aber der einstige Weltverkaufsmeister bringt neben dem Leaf vorerst nur den Ariya. Im Moment haben wir eher Honda auf dem Zettel: Der elektrische HR-V, der unter anderem als e:Ny1 präsentiert wurde, könnte den Markt ebenso bereichern wie der Prologue.
Zum Abschluss sollten wir Tesla nicht übersehen. Davon, dass Elon Musk sich offensiv öffentlich äußert und der Aktienkurs verfällt, werden die Elektroautos nicht schlechter. Es ist keine gewagte Prognose, dass das Model Y nicht nur zu den meistverkauften Elektroautos 2023, sondern auch zu den international meistverkauften Autos überhaupt gehören wird. Im Vergleich dazu nimmt das Model S Plaid eine Nebenrolle ein. Und wie üblich bei Tesla brodelt es in der Gerüchteküche: Das Model 3 könnte eine geringe optische, aber große technische Überarbeitung unter dem Projektnamen Highland bekommen. Für den Kunden ist die Änderung weniger wichtig als für Tesla, wo man Produktionsprozesse über das Gigacasting vereinfachen und so die Marge steigern will.
Erschienen bei ELECTRIVE.net.