Die Truckwelt wird elektrisch

TCO ist alles: Für Spediteure und Logistiker zählen ausschließlich die Gesamtkosten (Total Cost of Ownership) bei der Auswahl der Zugmaschinen. Die beinhalten die Energiekosten, die Maut, die Mechaniker auf dem Betriebshof und natürlich die Fahrzeuge und die Trucker selbst. Ausgerechnet hier kippt die Welt der Nutzfahrzeuge vom Dieselmotor zum Batterie-elektrischen Antrieb: Bei den schweren Zugmaschinen, die Güter im Verteiler- und Fernverkehr bewegen. Die Stimmung auf den Messeständen der IAA Nutzfahrzeuge von MAN und Iveco, von Mercedes und Volvo ist entsprechend gut. Wer will – und das sind vorerst weiterhin die meisten – bekommt den bewährten Selbstzünder. Immer mehr aber probieren die elektrische Zugmaschine aus.

Zur Wahrheit gehört, das relevante Produkte erst jetzt in den Serieneinsatz gehen. Repräsentativ dafür steht der Mercedes e-Actros 600: Die 621 Kilowattstunden (kWh) der Traktionsbatterie reichen für viele Anwendungsfälle bereits aus. Bei einem tatsächlichen Stromverbrauch von 90 bis 120 kWh / 100 km sind die gesetzlichen Lenkzeiten der begrenzende Faktor: 4,5 Stunden mit höchstens 80 km/h fahren, 45 Minuten laden, 4,5 Stunden fahren. Nein, noch werden nicht sämtliche Szenarien abgebildet, und die Lkw-spezifische Infrastruktur ist nahe Null. Das ändert sich radikal.

Megawatt Charger an etwa der Hälfte der Standorte

Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur hat am Montag eine Ausschreibung für den Aufbau von Ladestationen an den unbewirtschafteten Raststätten veröffentlicht. Auch die Industrie selbst ist sehr aktiv und hat mit Milence ein Joint Venture für die Errichtung von Megawatt Chargern gegründet: Sie liefern über 1.000 Kilowatt – also ein Megawatt – Ladeleistung.

Nach einer Analyse der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur auf Basis der Mautdaten müssen etwa die Hälfte der 350 identifizierten öffentlichen Standorte mit über 4.200 Abnahmepunkten so kraftvoll sein. Für die anderen genügen Ladeleistungen wie bei den Pkw von bis zu 300 oder 400 kW. Was fehlt, sind Durchfahrtslösungen speziell für Sattelschlepper auf den üblichen Lkw-Parkplätzen.

Die Branche ist jedenfalls vorbereitet. Alpitronic aus Italien zum Beispiel, Marktführer bei DC-Ladesäulen, kündigt ebenso einen Megawatt Charger an wie der polnische Konkurrent Ekoenergetyca.

Förderung nur für die Infrastruktur notwendig

In Hintergrundgesprächen auf der IAA Transportation wird deutlich, dass die Infrastrukturkosten der einzige Punkt sind, an dem sich die Beteiligten noch eine Förderung wünschen. Bei den Zugmaschinen, die statt circa 130.000 Euro beim Dieselmotor rund 280.000 beim e-Lkw kosten, ist das nicht mehr notwendig: Der Wegfall der Maut bis Ende 2025 sowie die anschließende Reduzierung der Maut in Verbindung mit durchweg niedrigeren Fahrenergiekosten ermöglicht bereits die Amortisation.

Überhaupt sind Sätze zu hören, die vor zehn Jahren in der Nutzfahrzeugszene undenkbar gewesen wären: Am wichtigsten wäre politische Verlässlichkeit, betonen mehrere hochrangige Industrievertreter. Kurs halten zum Umstieg auf Elektrotraktion, bitte, und gemeint ist inzwischen nur noch Batterie-elektrisch. Andere Optionen wie die Wasserstoff-betriebene Brennstoffzelle werden zwar noch gezeigt, aber nicht mehr mit Nachdruck verfolgt.

Abrechnungstools und angepasste Ladelösungen

Das Drumherum ist mindestens so wichtig wie die Fahrzeuge. Das wird unter anderem bei Elli  (Volkswagen Charging Group) deutlich. Elli stellt das Koordinationstool ConnectPro in Hannover vor: Die Abrechnungen an den Ladestationen können direkt vom Fuhrparkmanager nachvollzogen werden. Alles remote. Die Fahrer sollen das Laden so niederschwellig und unkompliziert wie möglich abwickeln können, also ohne den Aufwand von Papierquittungen oder Ähnlichem.

Elli zeigt außerdem Flexpole, eine 150 kW-Ladestation mit integriertem Pufferspeicher. Flexpole kann ans Niederspannungsnetz angeschlossen werden oder an einen konventionellen Drehstromanschluss. Der Vorteil: Lastspitzen werden vermieden. Denn die kosten Geld. Elektrische Nutzfahrzeuge beziehen ihren Strom häufig direkt in den Betriebshöfen, und hier werden dynamische Tarife immer wichtiger. Über einen Pufferspeicher lassen sich so Kosten senken.

Volkswagen stellt in Hannover zusätzlich den e-Transporter T7 vor. Zur Nomenklatur: Der aktuelle Multivan wurde vielfach T7 genannt, nur nicht von Volkswagen selbst. Stattdessen trägt der Nachfolger des T6 dieses Kürzel.  Der T7 e-Transporter hat lediglich 64 kWh Energieinhalt, während ein ID. Buzz bis zu 86 kWh hat. Auffällig ist, dass die Bruttokapazität des e-T7 über 80 kWh liegt. Hier ist also im Sinn der Dauerhaltbarkeit ein kleines Ladefenster freigegeben worden.

LFP-Zellen ideal für Nutzfahrzeuge

Dauerhaltbarkeit ist auch eins der Kernthemen von CATL, dem weltgrößten Hersteller von Batteriezellen. Auf der IAA Transportation werden von CATL fast nur die robusten LFP-Zellen gezeigt, die unter anderem im Mercedes e-Actros installiert sind.

Die volumetrische und gravimetrische Energiedichte ist geringer als bei typischen NMC-Zellen. Dieser Abstrich ist weniger wichtig als die Vorteile: Die zyklische Dauerhaltbarkeit von LFP-Zellen ist höher, und das Risiko des thermischen Durchgehens ungleich geringer.

Bei CATL weist ein Mitarbeiter auf die Degradationskurve hin: NMC-Zellen verlieren im ersten Jahr meistens einen Energieinhalt im einstelligen Prozentbereich um anschließend langsam linear zu verschleißen. Bei LFP-Zellen ist der Anfangsverlust in dieser Form nicht vorhanden. Die lineare Degradation startet nach drei bis vier Jahren. Die Kurve verläuft dann parallel zu NMC-Zellen, nur noch oben verschoben.

Neuheiten von Kia, Maxus und Renault

Während Linien- und Reisebusse auf der IAA Nutzfahrzeuge nur ein Randaspekt sind (man trifft sich lieber auf der Busworld 2025 in Brüssel), gibt es in den Segmenten darunter etliche Neuerungen. Maxus zum Beispiel zeigt den e-Deliver 5 sowie den Pickup e-Terron 9.

Chinesische Hersteller sind nicht so dominant wie Renault oder Kia. Kia präsentiert eine ganze Reihe von elektrischen Nutzfahrzeugkonzepten unter dem Label PBV. Im Format ähneln sie einem VW Transporter. Es gibt einen Van für Menschen (PV5 Passenger), eine Cargoversion, eine reine Chassisvariante sowie eine Langversion PV7. Die Serienversion soll dem Vernehmen nach relativ dicht an den Konzeptstudien sein. Der Marktstart ist für die zweite Jahreshälfte 2025 vorgesehen.

Sehr aktiv ist auch Renault, wo unter anderem das kurze und hohe Stadtkonzeptfahrzeug Estafette gezeigt wird. Das Design hat Retrozüge, die Traktionsbatterie ist modern: 800 Volt Systemspannung hat Renault bisher in keinem Serienfahrzeug eingebaut.

Dürftiges Angebot in der 3,5 Tonnen-Klasse

Rar sind dagegen Batterie-elektrische 3,5 Tonnen-Transporter. Der Stand von Stellantis etwa ist so klein, als hätte Sparfuchs Tavares persönlich die Quadratmeter zusammengestrichen. Der Fiat Ducato aus dem Stellantis-Konzern ist eins der wichtigsten Fahrzeuge in diesem Segment in Europa. Bei den elektrischen Versionen von Ducato, Sprinter oder Crafter sind zwar die Energieinhalte gestiegen, aber die Preise sind weiterhin viel zu hoch. Daran hat die Konkurrenz durch den Maxus e-Deliver 9 noch nichts geändert.

Nach dem Ausfall 2020 und einer zaghaften IAA Transportation 2022 ist auf dem Messegelände in Hannover wieder das pralle Leben. Die Sichtweise auf elektrische Antriebe hat sich bei vielen Teilnehmern komplett verändert. Hierzu leistet wahrscheinlich die persönliche Erfahrung der Menschen mit eigenen elektrischen Pkw einen Beitrag. Von hohem Wert sind aber auch ungeplante Botschafter der Sache wie Tobias Wagner: Er zeigt als @elektrotrucker auf Youtube, wie der Alltag mit Batterie-elektrischen Sattelschleppern wirklich aussieht. 4,5 Stunden fahren, 45 Minuten laden, 4,5 Stunden fahren. Es klappt, und es ist kostengünstiger.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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