Irrsinnig elektrisch

Rauf auf 350 Kilowatt Ladeleistung. Das ist eins der erklärte Hauptziele des Vereins Charging Initiative Interface, abgekürzt CharIN. Hinter CharIN stehen wichtige Namen: Die Automarken Audi, BMW, Daimler, Ford, Opel, Porsche und Volkswagen. Die Hersteller von Steckern Mennekes und Phoenix Contact. Der TÜV Süd und neuerdings auch der Infrastrukturanbieter ABB. Sie alle wollen eins: mit noch höherer Ladegeschwindigkeit die Alltagstauglichkeit und damit die Konkurrenzfähigkeit des Batterie-elektrischen Autos verbessern. Dazu müssen zum einen beim Fahrzeug selbst und zum anderen bei der Stromversorgung Fortschritte erzielt werden.

Porsche hat auf der IAA mit der Studie Mission E einen Ausblick gegeben: In 15 Minuten, so heißt es in der Pressemeldung, solle die Batterie des 440 kW (600 PS) starken Allradsportwagens zu 80 Prozent geladen sein. Daraus resultieren 400 Kilometer Reichweite. Der Mission E sprintet in 3,5 Sekunden auf 100 km/h und das – kleiner Seitenhieb auf Tesla, wo man fürs Model S inzwischen von nur noch maximal 539 statt von 700 PS redet – „anders als heutige E-Fahrzeuge […] auch bei mehrmaligem Beschleunigen in kurzen Abständen“.

Zurück zum Ausgangspunkt, der Ladeleistung von bis zu 350 kW. Sowohl die Fahrzeuge als auch die Infrastruktur müssen dafür aufgerüstet werden. Im Auto wird zurzeit mit einer Spannung von 400 Volt gearbeitet. Um bei gleicher Stromstärke eine höhere Leistung zu erreichen, wird sie beim Porsche Mission E auf 800 Volt angehoben. Ein darauf ausgelegter Antriebsstrang kann mit leichteren Kupferkabeln mit weniger Gewicht und reduziertem Querschnitt arbeiten. Im Gegenzug müssen die internen Sicherheitsmaßnahmen verstärkt werden.

Die extreme Ladeleistung setzt also im Fahrzeug eine neue elektrische Architektur voraus, quasi die nächste Entwicklungsstufe. Das ist kein Hexenwerk – nur hat es bisher keiner in die serienmäßige Realität umgesetzt. Porsche exponiert sich auch darum mit dieser Technik, weil man den eigenen Markenkern der Geschwindigkeit und Dynamik mit neuer Bedeutung füllen will. Nach Auskunft des Unternehmens ist zurzeit noch die Batteriezelle ein begrenzender Faktor; man kommt heute faktisch auf gut 225 kW, ist aber zuversichtlich, mit bald zur Verfügung stehenden neuen Zellen weiter beschleunigen zu können.

Annäherung an den Wasserstoff – auch bei den Kosten

Übersetzt: Wenn die Batterien es hergeben, ist der Rest machbar. Zwar ist man dann immer noch nicht bei den drei Minuten Standzeit, die ein Brennstoffzellen-elektrisches Auto braucht, um Energie für 400 Kilometer Reichweite zu bunkern. Aber man nähert sich an – und das wohl auch bei den Kosten für die Infrastruktur.

Hier ergeben sich die 350 kW Ladeleistung aus 1000 V Spannung und 350 A Stromstärke. Innerhalb dieser Grenzen, so Porsche auf Anfrage von heise Autos, bleibe der Aufwand in der Infrastruktur technisch handhabbar; so sei weder ein gekühlter Stecker (das Kabel dagegen: wahrscheinlich luftgekühlt) noch ein extrem großer Leitungsquerschnitt notwendig – das ist wichtig, damit jeder Kunde damit umgehen kann.

Der Stecker wiederum ist der von BMW und Volkswagen bekannte CCS (Combined Charging System). Hieran wird sich nichts ändern, weder bei der Steigerung von aktuell 50 auf 150 kW noch bei bis zu 350 kW. Klar ist, dass die Ladesäulen abwärtskompatibel ausgelegt werden. Ein e-Golf der Jetztzeit wird also in Zukunft nicht plötzlich mit 350 kW laden können, aber an einer so starken Säule mit den derzeit möglichen 50 kW. Und, das gilt für alle Batterie-elektrischen Autos, der Zapfvorgang ist nicht linear. Das Laden an sich beginnt schnell und endet langsam. Eine der Ursachen dafür ist der Innenwiderstand der Batteriezellen: Es wird warm, wenn der Strom fließt.

Was ist, wenn alle elektrisch fahren wollen?

Analog zu Teslas Superchargern werden wahrscheinlich Ladeparks mit vier bis acht Standplätzen errichtet werden. Um die Kosten im Griff zu behalten, wird mit Standardkomponenten aus der Mittelspannungstechnik geplant. Billig wird der Spaß allerdings nicht zu haben sein. Fachkreise gehen bei Tesla Motors davon aus, dass je nach Bauaufwand für Erdarbeiten und mehr 250.000 bis 500.000 Euro pro Supercharger-Standort fällig werden, und eine zukünftige 350 kW-Anlage dürfte eher teurer als günstiger werden. Auch hier ergibt sich also eine Annäherung an die Wasserstoffinfrastruktur.

Was so einfach klingt – einfach die Spannung erhöhen und zappzarapp fahren wir schnell und elektrisch weiter – ist eine mittelfristige Perspektive. Das Laden mit 150 kW, also 25 Prozent mehr als an Teslas Superchargern, wird bis 2017 in Infrastruktur und auch in einigen E-Autos verfügbar sein. Die Steigerung auf 350 kW dagegen wird bis 2020 eine Rarität sein. Vielleicht gibt es erste Fahrzeuge, und vielleicht gibt es erste Säulen.

Am Ende geht es um die Frage, wie die Massen elektrifiziert werden können: Reicht es aus, wenn an jedem privaten Stellplatz ein eher gemächlicher AC-Ladepunkt installiert ist und zusätzlich an den Autobahnen und Verbindungsachsen schnelle DC-Säulen stehen? Oder müssen andere Technologien zum Einsatz kommen wie zum Beispiel das induktive Laden während der Fahrt oder die Wasserstoffwirtschaft?

Dass die Antwort noch nicht eindeutig ist, gehört zu den interessanten Aspekten unserer Zeit. Es wäre langweilig, wenn wir schon genau wüssten, was sich in zehn, 20 oder 30 Jahren durchsetzt.

Bildquelle (inklusive Fotostrecke): Porsche

Erschienen am 24. November bei heise Autos.

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