Jede Kilowattstunde zählt. Denn je größer die Batteriekapazität eines Elektroautos ist, desto leichter fällt der mobile Alltag. Beim Nissan Leaf kann der Käufer jetzt zwischen einer Version mit 24 kWh und einer neuen mit 30 kWh wählen. Wir fuhren den Leaf 30 kWh mit dem mittleren Ausstattungslevel namens Acenta. Das Plus von 25 Prozent führt zu einer direkt proportional gewachsenen Reichweite, weil der Stromverbrauch sich nicht verändert. Der Listenpreis des Nissan Leaf 30 kWh Acenta beginnt bei 33.960 Euro, wobei es weiterhin die Option gibt, den Wagen zu kaufen und die Batterie zu leasen. Da der japanische Hersteller aber selbstsicher verkündet, dass sich die Garantie für den Speicher auf acht Jahre bzw. 160.000 Kilometer verbessert (die 24 kWh-Variante bleibt bei fünf Jahren und 100.000 km), ist der Komplettkauf die bessere Wahl. Man schöpft aus der Erfahrung des Weltverkaufsmeisters; Nissan hat weit über 200.000 Exemplare ausgeliefert.
So viel vorweg: Das einzig Negative am Leaf ist – von Details abgesehen – die Ankündigung eines Nachfolgers. Kommt er 2017 oder 2018? Mit der Studie IDS Concept haben die Japaner zuletzt auf dem Genfer Autosalon gezeigt, wie sie sich die nahe Zukunft vorstellen. Mit nochmals viel größerer Batterie, Fahrautomatisierungssystemen und induktiver Ladefähigkeit. Es ist das Schicksal der Käufer von heutigen Elektroautos, in wenigen Jahren mit deutlichen Fortschritten konfrontiert zu werden. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor, bei denen sich die Neuigkeiten meistens auf einen weiteren Gang im Automatikgetriebe und zwei Zehntel Verbrauchsminderung im Laborzyklus beschränken.
Umgekehrt betrachtet ist der Vorteil des aktuellen Nissan Leaf, ein besonders ausgereiftes Auto zu sein, das im Gegensatz zu vielen Ankündigungen der Konkurrenz zu kaufen ist. Die Souveränität ist zum Beispiel an der Verarbeitungsqualität zu spüren, die beim Testwagen sehr gut war. Darüber hinaus ist der Leaf ein leicht bedienbares Fahrzeug, er gibt keine Rätsel auf und funktioniert unkompliziert.
Reicht die Weite?
Mit einem Stromverbrauch von durchschnittlich 15,9 kWh / 100 km (Spritmonitor: 17,5 kWh) lag die rechnerische Reichweite bei 189 Kilometern, und tatsächlich haben wir die Batterie einmal bis zu einem angezeigten Restradius von Null heruntergefahren. Keine Panik, es sind meistens noch energetische Restbestände vorhanden. Entscheidend aber sind bei der Einschätzung des tatsächlichen Verbrauchs mehrere Grundregeln des Batterie-elektrischen Fahrens.
Der wichtigste Parameter ist die Höhe der Geschwindigkeit. So stieg der Stromkonsum auf der Autobahn mit 130 km/h und mehr auf 24,4 kWh / 100 km an. Das dürfte ein Maximalwert sein, da der Start dieser Tour bei minus zwei Grad erfolgte und die Klimaautomatik durchgehend auf 21 Grad gestellt war. Der kleinste Verbrauchwert von 12,5 kWh / 100 km wurde am Ostermontag bei grüner Welle im Hamburger Stadtverkehr erzielt; die Werte für Bundes- und Landstraßen pendelten zwischen 14 und 16 kWh.
Wer schnell fährt im Sinn einer hohen Geschwindigkeit – kurze Beschleunigungsmanöver wirken sich kaum aus – muss also mit einer verkürzten Reichweite rechnen. Das gleiche gilt für Ultrakurzsstrecken. Hier kann der Verbrauch ebenfalls weit über 20 kWh / 100 km hinausgehen, weil die Aufheiz- bzw. Abkühlphase stark ins Gewicht fällt.
Trotzdem: Der negative Effekt der Klimatisierung wird weit überschätzt. Nissan hat dem Leaf eine Anzeige für die abgerufene Leistung – in dieser Jahreszeit der Heizleistung – eingebaut. Sie liegt beim Start und Außentemperaturen um den Gefrierpunkt bei rund 3 kW. Schon nach wenigen hundert Metern sinkt sie auf circa 1,5 kW. Und nach wenigen weiteren Kilometern pendelt sie sich bei 200 bis 300 Watt ein. Wer also nie mehr als fünf Kilometer zurücklegt, wird mit einem erhöhten Stromverbrauch rechnen müssen. Alle anderen können sich entspannt zurücklehnen: Die Auswirkungen von Sommer und Winter sind vorhanden, aber gering.
Laden: Je schneller, desto besser
Wenn die Batterie zur Neige geht oder sich eine Pause dafür anbietet, ist die Zeit zum Laden gekommen. Alle 30 kWh-Leafs haben einen Gleichstromanschluss nach dem Chademo-Standard; in der Basisausstattung Visia mit der 24 kWh-Batterie kostet dieser Aufpreis (490 Euro). Die DC-Ladeleistung liegt bei 50 Kilowatt, und angesichts der größeren Batterie war die Differenz zwischen Säulen, die nur 20 kW lieferten und denen, die bis zu 50 kW (siehe Foto 3) abgaben, bereits deutlich spürbar.
Unterwegs hält der Fahrer also automatisch Ausschau nach Chademo-Säulen mit 50 kW Leistung. Bei der Routenplanung wägt man ab: Fahre ich äußerst vorsichtig, um ohne Zwischenladung ans Ziel zu kommen, oder nutze ich einen kurzen Stopp von zum Beispiel rund zwölf Minuten, um zehn Kilowattstunden nachzuladen und entspannt durchs Land zu kommen? Meistens ist Letzteres der Fall gewesen, weil die Dichte der DC-Säulen kontinuierlich zunimmt.
Das Laden mit Wechselstrom (AC) im öffentlichen Raum ergibt dagegen immer weniger Sinn. Zwar bietet der Leaf gegen 1.047 Euro Aufpreis eine von 3,3 kW (Serie) auf 6,6 kW gestiegene Ladeleistung. Das aber ist vorwiegend ein Gewinn für die Heimladung. Auf der Reise ist die AC-Ladung nur ein Notbehelf.
Überhaupt, die Heimladung am eigenen Stellplatz: Sie bleibt das Fundament des Batterie-elektrischen Fahrens. Wer über Nacht lädt, hat im Regelfall keine Sorgen. Wenn das Stromtanken hier bald induktiv und netzdienlich erfolgt, steht der größeren Verbreitung wenig im Weg.
Es ist die Pflicht des Autors, zum wiederholten Mal das Bezahlsystem der öffentlichen Ladeinfrastruktur zu kritisieren. Wenn selbst ein erfahrener Nutzer niemals sicher sein kann, dass die Identifikation an der Säule verlässlich arbeitet und damit der Strom fließt, ist das ein Armutszeugnis. Hier liegt eine elementare Schwäche des Batterie-elektrischen Fahrens an sich. Dass es anders geht, zeigt Tesla Motors: Dort sind alle Supercharger sowie die aktuelle Entfernung dahin feinsäuberlich im Navigationssystem aufgeführt. Und wenn der Besitzer an einem der Schnellladepunkte (Leistung: 120 kW) angekommen ist, muss er sich nicht mit Plastikkarten, RFID-Dongles oder Apps identifizieren. Das erledigt der Wagen per Softwarekommunikation selbst. Nur so ist es richtig, und nur so ist es massenkompatibel.
Viel Platz, wenig Übersicht
Zurück zum Nissan Leaf. Er überzeugt im Alltag durch den elektrotypischen Dampf, der an der Motorleistung von 80 kW (109 PS) nur unzureichend ablesbar ist. Weil die Beschleunigung ohne jede Verzögerung beginnt (11,5 Sekunden bis 100 km/h, 144 km/h Spitze) und kontinuierlich anhält, ist man von der Ampel weg meistens am schnellsten. Okay, bei steigender Geschwindigkeit geht dem Leaf die Puste aus, aber bis sich Batterie-elektrische Autos auf der Autobahn heimisch fühlen, wird ohnehin noch viel Zeit vergehen. Im Grundsatz ist die Fahrt im Leaf schlicht entspannt und souverän, wozu auch das hohe Komfortniveau durch eine gute Federung sowie leise Fahrgeräusche beiträgt.
Auch Platz ist ordentlich vorhanden. Das Kofferraumvolumen von 370 Litern ist größer als beim Volkswagen e-Golf (341 Litern), dem wichtigsten Konkurrenten. Allein die Übersichtlichkeit ist mangelhaft und ein Grund, zur Ausstattungsversion Tekna zu greifen, bei der Rundumkameras zum feinen Zirkeln in Parklücken helfen.
Ja, der e-Golf ist auf dem deutschen Markt zu einem harten Wettbewerber geworden, und fraglos ist der Volkswagen ein exzellent gemachtes Auto. Für den Leaf sprechen die auf 30 kWh gewachsene Batterie sowie die hohe Reife des Weltverkaufsmeisters. Das Gesamtpaket ist gelungen. Er ist die Alternative zum Volkswagen.
Erschienen am 4. April bei heise Autos.