Abwärts-Poker

119 statt 118 Gramm pro Kilometer: Zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende ist der durchschnittliche Kohlendioxidausstoß aller in der EU neu zugelassenen Pkw gestiegen. Das zeigen die Zahlen der European Environmental Agency (EEA). Dem Anschein nach ist das ein Desaster für die Autohersteller: Wer 2021 den Grenzwert von 95 g CO / km überschreitet, muss Strafe zahlen. Das Ziel, dieses Limit einzuhalten, wirkt unerreichbar. Allerdings nur bei oberflächlicher Betrachtung – beim Blick ins Detail ist die Industrie exzellent aufgestellt. Und die defizitäre Zwischenbilanz ist hervorragend geeignet, um bei den momentanen Verhandlungen für zukünftige Reduktionsziele bis 2030 zu suggerieren, man würde durch die CO2-Vorgaben in den Ruin getrieben.

Das aber ist nicht der Fall: „Die Autohersteller haben ihre Ziele in den letzten Jahren übererfüllt“, erklärt Dr. Peter Mock vom International Council on Clean Transportation (ICCT). Man war also deutlich besser als eigentlich erforderlich. Dass nun in einem Jahr eher das obere Ende des Korridors erreicht werde, sei kein unüberwindbares Problem, so Mock. Er sei zuversichtlich, dass die meisten oder alle Konzerne die Grenzwerte mit unterschiedlichen Strategien einhalten könnten.

Vor der Erläuterung dieser Strategien sollen noch die aktuellen Werte einiger Markengruppen genannt werden. Hierbei gilt es zu beachten, dass der mittlere Grenzwert von 95 g CO2 / km für das Jahr 2021 sich auf das Durchschnittsgewicht bezieht; er kann also leicht nach oben oder unten abweichen, wenn der jeweilige Konzern schwerere oder leichtgewichtigere Pkw baut.

Toyota Motors Corporation besonders CO2-arm

Den niedrigsten CO2-Flottenwert hat zurzeit die Toyota Motors Corporation mit den Marken Toyota und Lexus. Mit 103 g CO2 / km ist man nur noch neun Gramm vom gewichtsspezifischen Limit für 2021 (hier: 94 g CO2 / km) entfernt. Die größte Differenz muss FCA (Fiat Chrysler Automobiles) mit 29 Gramm überwinden, nämlich von jetzt 120 auf später 91 g CO2 / km. Keine einfache Aufgabe im preissensiblen Marktsegment.

In absoluten Zahlen auf dem letzten Platz der CO2-Flottenwerte liegt die Daimler AG (Mercedes und Smart) mit 127 g CO2 / km. Der Daimler hat mit durchschnittlich 1.607 kg die schwersten Autos in der EU verkauft. Für 2021 gilt darum eine relativ hohe Grenze von 103 g CO2 / km, was einer Differenz von 23 Gramm entspricht. Zum Vergleich: Hyundai-Kia muss von jetzt 122 auf dann 94 g CO2 /k km runter und hat mit 28 Gramm noch einen erheblichen Unterschied zu bewältigen.

Bis 2020 werden diverse Neuheiten den Automarkt verändern. Die konventionellen Antriebe werden sparsamer und damit CO2-ärmer, und dazu kommen etliche Plug-in Hybride (PHEV) sowie Batterie-elektrische Pkw (BEV).

Mildhybride, PHEVs und BEVs

Je nach gewachsener Unternehmenskultur lassen sich die Strategien der Hersteller benennen.

Toyota wird weiter den Weg der Vollhybridisierung gehen. Der Anteil innerhalb einer Baureihe ist umso höher, je größer und teurer das Fahrzeug ist. Lexus etwa verkauft fast ausschließlich Hybridautos. Beim Toyota RAV4 liegt man über 70 Prozent, und selbst vom Yaris kommt nahezu jeder zweite mit dem Mischantrieb auf die Straße.

Dass es mit dem Prius Plug-in bisher nur ein PHEV, den seltenen Mirai und erst ab 2020 ein BEV (wahrscheinlich den CH-R) geben wird, tut dem Erfolg keinen Abbruch.

Eine große Hybridisierungsoffensive, wenn auch als Mildhybridsystem, wird es bei Volkswagen geben. Spätestens mit dem Erscheinen des Golf VIII 2019 wird diese Technologie ihren Weg in die Masse finden. Vereinfacht gesagt ersetzt ein Startergenerator im Riementrieb die Lichtmaschine. Dieser kann Bremsenergie rekuperieren und boosten.

Außerdem kommt die Batterie-elektrische I.D.-Serie. Volkswagen hat hier Großes vor. Der Abschwung beim TDI verbunden mit der stark gestiegenen Nachfrage nach SUVs wird mehr als kompensiert.

Einen ähnlichen Weg schlägt Hyundai-Kia ein. Neben der erfolgreichen Elektrifizierungsstrategie (Hyundai: Ioniq, Kona EV, Nexo / Kia: Soul EV, Niro EV) werden auch hier sehr viele Mildhybridsysteme eingesetzt werden.

Eco Innovations und Pooling

Abseits der Arbeit am Antrieb gibt es noch zwei wichtige, strategische Elemente. Zum einen zertifiziert die EU Eco Innovations. Das sind Technologien, die nachweisbar den CO2-Ausstoß reduzieren, das aber im Messzyklus nicht zeigen können. Ein Beispiel dafür können energiesparende LED-Scheinwerfer sein oder besondere Lichtmaschinen. Bei Mercedes machen diese Eco Innovations 0,4 Gramm bei den Flottenemissionen aus. Einzelne Modelle von Porsche und BMW kommen auf über vier Gramm Reduktion pro Fahrzeug.

Autos mit Ladestecker sind – noch – ohne große absolute Bedeutung. Renault-Nissan kann die Gesamtbilanz durch Zoe, Leaf und andere von 112 auf 110 g CO2 / km drücken und die BMW Group von 122 auf 119 g CO2 / km. Das wird sich ändern. Denn neben elektrifizierten Antrieben in jeder Form und Eco Innovations ist das Pooling ein weiteres Instrument, um die CO2-Zahlen zu verbessern. So ist es theoretisch möglich, dass sich Tesla Motors zusammen mit FCA bilanziert. Wenn der Preis für FCA stimmt und unterhalb der möglichen Strafzahlungen liegt, sind solche Optionen vorstellbar und völlig legal.

Erschienen am 12. Juli bei heise Autos.

Bildquelle: ICCT

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