Der Ausbau der Ladeinfrastruktur muss den Verkaufszahlen der Elektroautos immer einen Schritt voraus sein. Passiert das nicht, ist die Energiewende im Verkehr in Gefahr: Ein funktionierendes Netz öffentlicher und privater Ladepunkte ist die Voraussetzung für die Akzeptanz der Elektromobilität an sich. Zurzeit ist die Versorgung in Deutschland ausreichend. Das aber wird nicht so bleiben, wenn nicht massiv zugebaut wird, sagt eine Studie , die von der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur beim Reiner Lemoine Institut (RLI) in Auftrag gegeben wurde. Im schlechtesten Fall häufen sich Szenen wie beim Thanksgiving 2019 in den USA: Vor den Superchargern von Tesla bildeten sich Warteschlangen. Queuing nennt die Branche das. Und falls das am ersten Tag der Sommerferien in Deutschland genauso stattfinden sollte, würden sich viele Menschen fragen, warum Klimaschutz so mühselig ist.
Die Prognose der Nationalen Leitstelle ist ein Weckruf: Bis 2030 könnten 9,6 Millionen Batterie-elektrische Autos auf den Straßen zwischen Flensburg und Füssen fahren. Das Besondere an dieser Zahl ist die Methode, mit der sie erhoben wurde: In vertraulichen Cleanroom-Gesprächen mit Vertretern der in Deutschland tätigen Autoindustrie – also auch mit den Importmarken – wurden die Hersteller zu den geplanten Zulassungszahlen sowie zu den für die Ladegeschwindigkeit wichtigen technischen Daten befragt.
Dass der Hochlauf der Elektroautos steiler ist als viele Miesmacher vermuten, ist aus Industrieperspektive nicht verwunderlich: Ab 2025 könnte der Punkt erreicht sein, an dem das Fahren mit Strom auch ohne Subventionen kostengünstiger ist als das mit konventionellen Kraftstoffen. Und die Nachfrage ist schon heute hoch, wie die Lieferfristen zeigen.
900 Euro Direktförderung für eine Wallbox
Zurück zur Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur, die eine Mischung aus bundeseigenem Unternehmen und Think Tank ist. Sie hat zum Beispiel das Förderkonzept für Wallboxes entwickelt: Ab 24. November kann jeder bei der KfW einen Zuschuss von 900 Euro beantragen. Eine der Bedingungen ist, dass die gewünschte Wallbox auf einer Positivliste steht und extern gesteuert werden kann, um Lastspitzen zu vermeiden. 2030 soll der Anteil privater Ladevorgänge bei 76 bis 88 Prozent liegen. An öffentlichen Ladepunkten sind es demnach zwölf bis 24 Prozent.
Wallboxes aber sind relativ langsam. Über Nacht ist die Batterie voll. An den für 2030 im Entwicklungsszenario vorgesehenen 7,1 Millionen privaten Ladepunkte werden darum nur circa 41 Prozent der Energiemenge geladen. Das schont sowohl die Batterien als auch das Stromnetz. Und im Umkehrschluss bedeutet diese Verteilung, dass so genannte Hubs mit HPC-Ladern (Abkürzung für High Power Charging) stark ausgebaut werden müssen.
Hinter diesem Begriff verbirgt sich vereinfacht gesagt das, was Tesla bei den Superchargern vormacht: Ladeparks an den Autobahnen und Knotenpunkten, wo viele Säulen mit sehr hoher Leistung- und entsprechender Geschwindigkeit stehen. Ein Schnell-Ladenetz also.
Mehr HPC-Ladesäulen notwendig
Das gibt es im Ansatz bereits und zwar unabhängig von Teslas proprietärem System: Der Stromversorger EnBW zum Beispiel baut in der ganzen Republik HPC-Ladesäulen auf. Und das Joint-Venture Ionity, in dem sich die deutschen Konzerne sowie Hyundai und Ford zusammengetan haben, errichtet in einem ersten Schritt 400 Standorte in Europa.
Der Zubau aber geht nicht schnell genug voran. Thomas Ulbrich, Vorstand Elektromobilität bei Volkswagen, befürchtet schon Ostern einen ersten Engpass. Der Grund: Volkswagen liefert mit dem Kompaktwagen ID.3 ein Elektroauto aus, das stark nachgefragt ist und in sehr hohen Stückzahlen gebaut wird. Im ersten vollen Produktionsjahr 2021 werden es über 300.000 sein, und das ist erst der Anfang. Dieser Trend ist ein Sinnbild für die gesamte Autoindustrie. Der Umbruch ist da.
Während sich die Installation von Wallboxes zu Hause oder am Arbeitsplatz vergleichsweise zügig und kostengünstig realisieren lässt, sind Schnell-Ladehubs aufwändig in der Planung und teuer. Ja, es geht voran, aber nicht so wie es soll.
Auch hier hat die Nationale Leitstelle ein neues Konzept erarbeitet und vorgestellt. Bisher war es üblich, dass Betreiber wie die EnBW alles selbst organisiert und anschließend Fördergelder beantragt haben. Aus Mitteln des Bundesverkehrsministeriums werden bis zu 50 Prozent der Kosten für die Säulen und bis zu 75 Prozent der Anschlusskosten übernommen. Besonders der Transformator fürs Mittelspannungsnetz ist teuer.
Der Bund schreibt 1.000 Ladeparks aus
Jetzt aber findet ein Paradigmenwechsel statt: Der Bund schreibt den Aufbau von 1.000 Schnell-Ladeparks über die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur aus. Das heißt, dass Unternehmen wie die EnBW die Betreiber bleiben. Aber es gibt strengere und einheitliche Maßstäbe für die Ladehubs. Sie müssen so bedienungsfreundlich wie möglich werden, und selbst an den Komfort ist gedacht – so ist etwa vorstellbar, dass die Säulen überdacht sind. Außerdem wird es nicht mehr möglich sein, sich nur die attraktiven Standorte zu sichern. Stattdessen vergibt der Bund gute und weniger interessante Standorte im Bündel. Im Gegenzug bekommen die Betreiber die Deckungslücke zwischen ihren Einnahmen und Kosten vom Staat ersetzt. Denn auch das gehört zur Wahrheit: Die derzeitige Auslastung ist nicht ausreichend, um damit Geld zu verdienen.
Für die Auslastung von öffentlichen Ladepunkten gibt es unterschiedliche Maßzahlen. So wurde in der Vergangenheit gerne pauschal mit zehn Elektroautos pro Ladepunkt gerechnet. Ein Wert, der sich in jeder Hinsicht verändern wird. Zum einen steigt die Auslastung mit dem wachsenden Fahrzeugbestand. Zum anderen wird auch die Ladegeschwindigkeit der Elektroautos stetig höher. Es können also pro Standort mehr Fahrzeuge bedient werden: Bis 2030 könnte das Verhältnis auf 20 zu eins ansteigen.
Neben der absoluten Zahl der Ladepunkte – zu den 7,1 Millionen privaten kommen bis zu 843.000 öffentliche – ist in der Studie von Nationaler Leitstelle und Reiner Lemoine Institut auch angegeben, wie viel Strom 2030 benötigt wird: Es sind rund 30 Terawattstunden (TWh). Elektrische Energie ersetzt den Import von Rohölprodukten. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass 2019 allein der exportierte Stromüberschuss Deutschlands gut 36 TWh betrug. Wegen des für 2038 geplanten Ausstiegs aus der Kohleverstromung ist ein immenser Zubau von Fotovoltaik- und Windkraftanlagen aber unerlässlich.
Erschienen bei ZEIT ONLINE.
Hallo Herr Schwarzer, vielen Dank für den Beitrag, besonders die Infos über das ein Jahr nach der Ankündigung endlich ausgeschriebene Programm für 1.000 HPC-Ladeparks! Eine Frage: „so ist etwa vorstellbar, dass die Säulen überdacht sind“ – was genau bedeutet dies? „Vorstellbar“ klingt in keinster Weise nach einem auch nur einigermaßen sanft forcierten Kriterium. Ein Link auf die Ausschreibung wäre obendrein ziemlich nützlich 🙂
Bitte betrachten Sie die Formulierung als journalistische Vorsichtsmaßnahme! Die Ausschreibung, die im Juni angekündigt wurde, ist nicht finalisiert. Erst wenn die Kriterien eindeutig und einsehbar sind, werde ich das auch so schreiben.
Ach dammich, ich hab es so gelesen, dass sie jetzt endlich raus ist. Danke für das Update!
Und woher kommt die Aussage mit der Überdachung? Schöne Grüße!
Lesen Sie mal hier: https://www.electrive.net/2020/06/18/1-000-dc-ladeparks-jetzt-laesst-der-bund-deutsche-supercharger-bauen/