Über Langstrecken-Meister

Kein Elektroauto ist so langstreckentauglich wie der Mercedes EQS. Das ist das Ergebnis des aktuellen P3 Charging Index, der Ende 2019 erstmals veröffentlicht  wurde. Und obwohl das Beratungsunternehmen P3 Automotive die Vergleichsparameter verändert hat – dazu gleich mehr –, reicht es für das Tesla Model 3 Long Range wieder nur für den zweiten Platz. Es folgen der Volkswagen ID.3 mit der großen 77 Kilowattstunden (kWh)-Batterie sowie der Porsche Taycan, der zuletzt souverän gewonnen hatte. Das Ziel des Charging Index ist einerseits, einen reproduzierbaren Maßstab zu schaffen. Andererseits möchten die Elektromobilitätsfachleute von P3, die wirklich jede Zelle beim Vornamen kennen, darauf aufmerksam machen, wie wichtig die Kombination aus hoher Ladeperformance und niedrigem Stromverbrauch ist.

Das Ideal für die Autobahn wäre, elektrische Energie für 300 Kilometer (km) Reichweite in 20 Minuten zu laden. Ein Elektroauto, dass diese Vorgabe erreicht, würde von P3 mit dem Charging Index 1 bewertet werden. Der Mercedes EQS kommt immerhin auf 0,88. Fahrzeuge mit einem Index von unter 0,5 werden nicht aufgelistet, weil die komfortable Nutzbarkeit  „auf Langstrecken mit größeren Anstrengungen“ verbunden ist. So sind zum Beispiel weder der Volkswagen XC40 Recharge noch der Renault Zoe oder der Opel Corsa-e zu finden.

Größeres Ladefenster

Zur Datenbasis: Die Werte für den Stromverbrauch stammen unter anderem aus dem ADAC Eco Test, der zusätzlich zum Verfahren WLTP einen speziellen Autobahnzyklus enthält. Die Zahlen für die Nettokapazität des Elektroautos, also des tatsächlich verfügbaren Energieinhalts, sowie die Gleichstrom (DC)-Ladekurve kommen von P3 selbst.

Allerdings wurde das Ladefenster ausgeweitet: Statt von 20 auf 80 Prozent SOC (abgekürzt für State of Charge) wird jetzt das von zehn bis 80 Prozent berücksichtigt. So reagiert P3 auf die Kritik, die am ersten Charging Index von 2019 laut wurde. Man habe, so der Vorwurf, den besten Teil der Ladekurve des Tesla Model 3 vorsätzlich abgeschnitten. Der Ausweitung des Ladefensters liegt aber auch ein sachliches Argument zu Grunde: Die Abdeckung mit DC-Säulen ist nochmals gestiegen. Es ist für interessierte Elektroautofahrer:innen also leichter, beim gewünschten SOC auch einen schnellen Ladepunkt zu finden. Der untere Puffer kann darum kleiner ausfallen.

P3 zeigt mit dem Charging Index zugleich, dass nicht nur die maximale Ladeleistung eine Bedeutung hat, sondern auch der Verlauf. So fällt die DC-Kurve des Tesla Model 3 Long Range steil ab, während die zum Beispiel des Audi e-tron lange nahezu konstant bei 150 kW liegt.

Nettokapazität und Aerodynamik

Der Sieg des Mercedes EQS ist kein Zufall und beruht auf mehreren Faktoren. So hat der EQS mit 107,8 kWh die größte Nettokapazität. Die Batterie des Tesla Model S P100D enthält immer noch üppige 95 kWh. Der Porsche Taycan kommt auf 83,7 kWh. Viel hilft viel. Die Käufer:innen des Mercedes können aus den Vollen schöpfen.

Zugleich ist der Stromverbrauch des EQS auf der Autobahn niedrig, was der guten Aerodynamik zu verdanken ist. Aus dem Luftwiderstandsbeiwert von cW=0,20 und der Stirnfläche von 2,51 Quadratmetern ergibt sich ein cA-Wert von 0,5. Bei wirklich allen Elektroautos, die einen schlechten cA-Wert haben, leidet die Langstreckentauglichkeit. Das betrifft vor allem SUVs, die als Folge der Höhe eine zu große Stirnfläche haben.

Der dritte wesentliche Aspekt fürs Vorankommen ist die Ladeleistung im definierten Fenster von 10 auf 80 Prozent SOC. Alle Elektroautos in den Top 10 des Charging Index liegen hier im Durchschnitt über 100 kW. Und der Mercedes EQS hat zwar anders als der Porsche Taycan kein 800 Volt-Batteriesystem. Die große Kapazität ermöglicht aber auch auf einer 400 Volt-Basis eine Peakleistung von über 200 kW und einen Durchschnitt von 164 kW. Ein Plädoyer für unbegrenztes Batteriewachstum ist das ausdrücklich nicht; 800 Volt-Systeme können auch bei gemäßigten Größen hohe Ladeleistungen realisieren.

Neue 800 Volt-Elektroautos noch nicht verfügbar

Es ist trotzdem absehbar, dass 800 Volt-Batteriesysteme mittelfristig dominieren werden. P3 schätzt, dass Hyundai Ioniq 5, Kia EV6 und Audi e-tron GT in die Top 5 hätten kommen können. Zum Erhebungszeitpunkt waren aber noch keine Testwagen verfügbar.

Schön zu sehen ist der Fortschritt an sich. Hatte der 2019 erstplatzierte Porsche Taycan in 20 Minuten noch 216 km nachgeladen, sind es jetzt beim Mercedes EQS 265 km. Und einen Sieg kann die Tesla-Community doch feiern: Berücksichtigt man die Werte nach zehn Minuten Ladezeit, ist das Model 3 LR mit 149 km ganz vorne. Es ist außerdem bekannt, dass die Berechnung der Route sowie die Prognose des SOC bei Ankunft nirgends so präzise funktionieren wie bei Tesla. Wie gut der Mercedes EQS in dieser Disziplin ist, wird sich im Praxisbetrieb bald zeigen.

Erschienen bei ELECTRIVE.net.

Bildquelle: Mercedes

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