GT heißt Gran Turismo

Sieht schon geil aus. Solche oder ähnliche Bemerkungen können fallen, wenn Sie mit dem Audi e-tron GT unterwegs sind. Und fraglos haben die Formengestalter beste Arbeit geleistet. Flach, breit, stark. Der e-tron GT strahlt Energie aus, und in dem Weißton des Testwagens namens Suzukagrau kommt das Design besonders gut zur Geltung. Sprechen wir es aus: Jeder weiß, dass der e-tron GT die Plattform J1 vom Porsche Taycan übernommen hat. Also ähneln sich die Proportionen. Das ist aber kein Nachteil. Im Gegenteil. Das Teil stimmt außen und innen, und es ist ein Audi, ein Audi, ein Audi.

Beim Fahren herausragend ist das Einlenkverhalten: Kurve anvisieren, vom Pedal gehen und zack, der Radius sitzt sofort, weil die Lenkung so präzise ist. Die Wankneigung ist gering, und im öffentlichen Straßenverkehr ist der Grenzbereich auf trockener Straße unerreichbar. Jedenfalls für alle, die weder sich noch andere gefährden wollen. Dass diese Perfektion bei 2.365 Kilogramm (kg) Leergewicht laut Fahrzeugschein möglich ist, ist ein Phänomen. Es geht trotzdem noch besser: Der Testwagen hatte keine Allradlenkung. Sie bringt für 1.390 Euro ein spürbares Mehr, dass sich auch beim Einparken positiv auswirkt. Eine Empfehlung.

350 kW Motorleistung, ab 99.800 Euro

Der Audi e-tron GT ist die Basisversion. Eine irreführende Bezeichnung bei einem Grundpreis von 99.800 Euro und einer Leistung von 350 kW, die im Boost auf 390 kW ansteigt. Bis 100 km/h vergehen 4,1 Sekunden, und bei 245 km/h ist Schluss. Wem das nicht genug ist: Der RS e-tron GT hat bis zu 475 kW, und im Porsche Taycan ist nochmals mehr bestellbar. Und ja, ab 220 aufwärts geht dem Standardmodell langsam die Puste aus.

So schnell lässt sich der e-tron GT mühelos bewegen, weil das Luftfahrwerk (1.500 Euro) in Verbindung mit dem Übergewicht eine satte Straßenlage garantiert. Der Audi ist etwas softer abgestimmt als der Porsche, und trotzdem ist die Ähnlichkeit groß. Von der Reichweite bleibt im gestreckten Galopp naturgemäß nicht allzu viel übrig: Es sind gut 200 Kilometer (km).

Wer die Batterie mit einem Energieinhalt von 83,7 Kilowattstunden (kWh) netto weniger malträtiert, bekommt ein außerordentlich effizientes Elektroauto. Der Audi e-tron GT ist einfach sparsam: Der Durchschnittsverbrauch lag bei 22,9 kWh / 100, woraus 366 km resultieren. Inklusive Ladeverlusten waren es 26,2 kWh / 100 km. Bei 130 km/h (Tachoanzeige dabei 133 km/h) nahm der e-tron GT 22,6 kWh / 100 (=370 km), und im Überlandbetrieb sank der Wert auf 18,3 kWh / 100 km (=457 km).

800 Volt: Effizienz beim Fahren und Laden

Die erstklassige Windschlüpfigkeit (cA-Wert 2,35) trägt ebenso zu diesem sehr guten Ergebnis bei wie die auf 800 Volt erhöhte Spannung. Sie senkt den Verbrauch, und zugleich ermöglicht die geänderte Verschaltung eine hohe Ladeleistung. Plakative Stichproben: Bei einem zehnminütigen Zwischenhalt kamen 27 kWh in den Speicher. Und bei einem anderen Stopp von einer Viertelstunde waren es 49 kWh.

Dass der Audi der versprochenen Ladekurve willig folgt, lag nicht nur an den idealen äußeren Bedingungen in Form von Windarmut, Regenabwesenheit und rund 20 Grad Lufttemperatur. Erstmals konnte der Autor dieses Beitrags den e-Routenplaner ausprobieren: Wer den e-Routenplaner nutzt, bekommt automatisch die Vorkonditionierung der Batterieheizung, und die funktioniert eindeutig.

Abseits von Tesla ist es zudem weiterhin eine Ausnahme, dass der State of Charge (SOC) an Ziel oder Ladestopp in Prozentpunkten prognostiziert wird. Das macht der Audi gut. Perfekt ist der e-tron GT jedoch nicht: So versteckt sich die SOC-Vorausschau im ersten Untermenu, statt permanent im Sichtfeld zu sein. Und dass der der aktuelle SOC zwar beim Laden, nicht aber während der Fahrt angezeigt wird, ist schlecht. Anders als im Porsche Taycan war außerdem keine Anzeige für die Batterietemperatur zu finden. Das alles sind Werte, die selbstverständlich in jedem Elektroauto ablesbar sein sollten. Dass das bis heute selten ist, zeigt nicht etwa die Stärke von Tesla, sondern die Schwäche der Wettbewerber.

Halbierte Dienstwagenbesteuerung

Ein Gran Turismo, also einer für die große Reise, kann der e-tron GT nicht sein, denn in diesem Segment sind Audi-Kunden verwöhnt: Es sollte jedem klar sein, dass man mit einem A7 TDI, der nebenbei 280 kg leichter ist, besser vorankommt. Aber nicht jeder fährt viel und weit, und die Halbierung der Bemessungsgrundlage des geldwerten Vorteils der Privatnutzung eines Firmenwagens (bitte entschuldigen Sie die längliche Formulierung) ist für etliche Kunden ein schwerwiegendes Argument fürs Elektroauto.

 

Egal bei welcher Geschwindigkeit, der Audi hat ein sehr niedriges Geräuschniveau. Der Wind bleibt draußen. Das steigert den Komfort. Nicht empfehlenswert sind die sehr breiten Reifen (hinten 305er) mit niedrigem Querschnitt auf sehr großen Felgen. Sie rollen vergleichsweise laut ab. Es ist eine Marotte der Autoindustrie, Pressetestwagen grundsätzlich mit den größten verfügbaren Pneus auszustatten. Sieht nett aus, siehe Fotos, ist aber im Alltag ein Abstrich.

Audi hat beim Testwagen bewusst auf gewichtstreibende Extras verzichtet. Dieser e-tron GT sollte leicht sein und war unter anderem mit Keramikbremsen ausgestattet. Die braucht man außer bei sehr schneller Autobahnfahrt praktisch nie, weil die Rekuperationsleistung von bis zu 265 kW die Bremsscheiben quasi arbeitslos macht. Der Audi bei ELECTRIVE.net hatte auch kein künstliches Innengeräusch (das äußere ist gesetzlich vorgeschrieben), was eine akustische Schwachstelle entlarvte, die beim Taycan bisher nicht zu hören war: Der erste Gang des Zweiganggetriebes ist mechanisch laut. Allerdings kommt er nur im dynamic-Modus oder beim Kickdown unter 90 km/hm zum Einsatz. Der vielfach besungene, raumschiffartige Kunstsound im Porsche hat offensichtlich den Zweck, dieses Geräusch zu kaschieren.

Konkurrenz bei den Assistenzsystemen

Noch was zu nörgeln? Na klar: Die Fahrassistenzsysteme sind sehr gut. Aber, das ist das Schicksal in der Premiumklasse, ein zuvor getesteter BMW iX3 bietet mehr. So fiel zum Beispiel die Hands-off-detection durch Falschwarnungen auf, weil das Lenkrad den Fahrer noch nicht kapazitiv, sondern per Momemtsensor identifiziert. Die Verkehrszeichenerkennung und Übernahme im BMW war ebenfalls besser, und das automatische Wiederanfahren ohne Zeitbegrenzung funktioniert im Audi e-tron GT anders als in einem Volkswagen ID.4 noch nicht. Das ist der Lauf der Autowelt: Jedes halbe Jahr markiert eine Neuerscheinung den aktuellen Stand, und die anderen müssen bei der nächsten Überarbeitung nachziehen. Und nein, OTA hat der Audi nicht.

Das ändert nichts am krassen Gesamteindruck des Audi e-tron GT. Die Verbindung aus beeindruckender Form, hoher Effizienz beim Fahren und Laden sowie herausragenden Fahrwerksqualitäten ist überzeugend. Dazu kommt eine Innenraumanmutung, die so hoch ist, wie man es von einem Audi erwarten darf, aber vom Porsche Taycan nicht erreicht wird. Steigen Sie mal ein. Und wenn sie die erste Kurve kommen sehen: Anvisieren – und zack.

Erschienen bei ELECTRIVE.net.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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