Die Nachschärfung

Am 21. Juli wird die Europäische Kommission ihren Entwurf für die Verschärfung der CO2-Flottengrenzwerte von Neuwagen veröffentlichen. Das bisherige Ziel, bis 2030 eine Reduktion von 37,5 Prozent gegenüber 2021 zu erreichen, gilt als zu lasch: Der so genannte Green Deal sieht vor, dass die Treibhausgasemissionen der Europäischen Union gesamtwirtschaftlich um 55 Prozent im Vergleich zu 1990 sinken sollen. Bedenkt man nun, dass lediglich die neu zugelassenen Pkw unter die Regulierung fallen, der Bestand aber lange weiterfährt, bis er verschrottet oder exportiert wird, sind die bisherigen Ambitionen zu gering. Im Vorfeld des Kommissionsentwurfs positionieren sich nun die Lobbyisten von Öl bis Öko laut und manipulativ.

Der Mechanismus der CO2-Vorgaben im Pkw-Sektor bleibt im Grundsatz bestehen: Alle im Europäischen Wirtschaftsraum – also den Staaten der EU plus Island, Liechtenstein und Norwegen – neu zugelassenen Autos haben einen individuellen Kohlendioxidwert. Dieser wird im Labor erhoben und gilt nur für die hier feststellbaren Abgase. Bei Pkw mit Verbrennungsmotor sind die CO2-Emissionen das direkte Ergebnis des Spritverbrauchs: Je geringer der Konsum von Superbenzin und Dieselkraftstoff, desto niedriger die CO2-Werte. Batterie- und Brennstoffzellen-elektrische Autos gehen mit null Gramm in die Bilanz ein. Und Plug-in-Hybride, die beide Antriebe kombinieren, haben formal geringe CO2-Emissionen, weil der elektrische Fahranteil ebenfalls mit Null angerechnet wird.

Schlupflöcher bei der CO2-Bilanzierung

Eine Schwäche dieses Bilanzierungssystems ist, dass es die Höhe des Stromverbrauchs, des Gewichts und der Leistung von Elektroautos völlig unberücksichtigt lässt. Vom Kleinwagen bis zum SUV werden alle gleich mit Null bewertet. So öffnet sich eine Lücke: Je mehr Elektroautos ein Hersteller verkauft, desto weniger müssen die Pkw mit Verbrennungsmotor zur CO2-Reduzierung beitragen. Dieser Fehler führt dazu, dass über eine steigende Quote von Batterie-elektrischen Autos die Emissionen von verbrennungsmotorischen Pkw kompensiert werden können; ein über zwei Tonnen schweres elektrisches SUV wie der Volkswagen ID.4 macht also den Weiterverkauf eines Tiguans mit TDI- oder TSI-Maschine möglich. Der International Council on Clean Transportation (ICCT) rechnet vor, dass der durchschnittliche CO2-Wert von 120 Gramm pro Kilometer nach NEFZ im Jahr 2015 auf lediglich 116 g/km in 2020 gesunken ist, wenn Elektroautos und Plug-in-Hybride herausgerechnet werden.

Der ICCT, eine Wissenschaftsorganisation, die sich aus Stiftungs- und Staatsmitteln finanziert, fordert für 2030 mindestens eine Reduktion um 70 statt 37,5 Prozent. Nur so kann nach den Berechnungen des ICCT eine Fortführung auf 100 Prozent im Jahr 2035 erreicht werden. Das wiederum ist die Voraussetzung, um in der Folge bis 2050 das Gesamtziel von 90 Prozent Treibhausgasreduktion im Vergleich zu 1990 zu schaffen.

Der Kommissionsentwurf ist kein Beschluss

Es ist anzunehmen, dass der Entwurf der Europäischen Kommission im Juli tatsächlich weit über das bisherige Ziel von 37,5 Prozent hinausgeht. Branchenkreise spekulieren über eine Verschärfung auf deutlich über 60 Prozent. Der Entwurf der Europäischen Kommission ist aber kein Beschluss: Im Anschluss geht es in den Trilog. Damit sind die Verhandlungen der EU-Kommission mit dem Europäischen Rat und dem EU-Parlament gemeint. In diesem Gremium werden die ursprünglichen Forderungen im Regelfall abgeschliffen. Frei nach dem verstorbenen SPD-Politiker Peter Struck kommt keine Vorlage so aus den Gesprächen, wie sie hineingegangen ist. Es ist darum anzunehmen, dass die EU-Kommission mit einer hohen Ausgangszahl in den Trilog geht.

Die Konfliktlinie verläuft inzwischen längst nicht mehr nur zwischen Autoindustrie und Umweltverbänden. Je nach eigenem Produktportfolio und strategischer Ausrichtung machen auch die Hersteller selbst unterschiedliche Aussagen, die im Vorfeld des Kommissionsentwurfs die öffentliche Meinung beeinflussen sollen.

Markante Ankündigungen, großzügige Ausnahmen

So sagte der Vorstandsvorsitzende von Audi, Markus Duesmann, letzte Woche in Berlin, dass ab 2026 nur noch elektrische Modelle auf den Markt gebracht werden sollen. Schon jetzt bietet Audi mit dem großen SUV e-tron, dem kompakten SUV Q4 e-tron sowie der sportlichen Luxuslimousine e-tron GT (ab 350 kW/476 PS Leistung) mehrere für die typische Kundschaft wichtige Fahrzeuge an. Die Nennung des Jahrs 2026 bedeutet aber keinesfalls das gleichzeitige Aus des Verbrennungsmotors.

Das sieht Duesmann erst für 2033 vor. Und bei genauerem Hinsehen ist auch das nur eine Vision, denn Audi nimmt mit China den mit Abstand größten und bedeutendsten Einzelmarkt von diesem Vorhaben aus. 2050 wolle man bilanziell CO2-neutral sein, heißt es weiter.

Die Differenz zum Statement von Oliver Zipse, dem Vorstandsvorsitzenden von BMW, ist also geringer, als sie auf den ersten Blick erscheint. Zipse hatte kürzlich in der Passauer Neuen Presse auf den Kundenwunsch verwiesen. Man plane, 2030 die Hälfte aller Neuwagen mit Batterie-elektrischem Antrieb zu verkaufen: „Wenn ein Hersteller dann kein Verbrennerangebot mehr hat, geht ihm das halbe Marktvolumen verloren“, erklärt Zipse.

Keine Bedeutung für die Verhandlungen zur Verschärfung der CO2-Ziele bis 2030 haben dagegen aus grünem Strom hergestellte synthetische Kraftstoffe. Das liegt am eingangs beschriebenen Verfahren, das die Emissionen am Auspuff als Bemessungsgrundlage nimmt und das unabhängig von der Quelle. Zwar benötigen diese e-Fuels sechs bis acht Mal so viel elektrische Ausgangsenergie zum Fahren wie ein Elektroauto, aber der Bestand von weit über einer Milliarde Fahrzeugen weltweit ließe sich auf diese Weise dekarbonisieren. Diese Chance zur Beschleunigung des Klimaschutzes kann nicht ignoriert werden: Projekte zur Produktion in sonnenreichen und abgabenarmen Regionen erleben zurzeit eine Wiederbelebung, und sie sind zumindest für den Luftverkehr unerlässlich.

Toyota und Volkswagen mit gegensätzlicher Strategie

Einen Sonderweg bei den Autoherstellern geht Toyota. Der direkte Rivale von Volkswagen hat in Deutschland mit einem Marktanteil von 2,4 Prozent eine geringe Bedeutung. Im Weltmaßstab aber haben die Japaner den deutschen Konzern bei den Verkaufszahlen wieder überholt. Toyota musste in der EU nur wenige Autos mit Ladestecker verkaufen, um die CO2-Vorgaben für 2020 einzuhalten, weil die Verbrennungsmotoren durch die beliebte Hybridisierung ausreichend sparsam waren.

Dennoch bietet Toyota ab nächstem Jahr eine Batterie-elektrische Version des Kompakt-SUVs RAV4 an, um in den USA gegen Tesla Model Y und Volkswagen ID.4 konkurrieren zu können. Und unbeirrt halten die Japaner genau wie die Koreaner von Hyundai am Brennstoffzellen-elektrischen Pkw fest, weil er im Gegensatz zu Batterie-Fahrzeugen keine Einschränkung bei der Langstreckentauglichkeit hat. Es darf abgewartet werden, wann die deutschen Konzerne darauf reagieren. BMW zum Beispiel erprobt zurzeit den „i Hydrogen Next“, von dem 2022 eine Kleinserie aufgelegt wird.

In bester Laune präsentiert sich derweil vor allem Herbert Diess, der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen. Er hat auf dem Power Day im März angekündigt, „nahezu 60 Prozent“ aller Neuwagen im Jahr 2030 als Elektroautos verkaufen zu wollen. Bis 2035 möchte Volkswagen in Europa – anders als in den USA und China – komplett  auf den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotor verzichten. Eine Verschärfung der EU-Ziele wäre also ganz im Sinn der Marke, und darum befindet sich Diess in seltener Koalition mit jenen Umweltverbänden, die dem extremen Metallbedarf zum Trotz im Batterie-elektrischen Antrieb die einzige Lösung zur Dekarbonisierung sehen.

Erschienen bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Volkswagen

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