Mangelware Kleinstwagen

Viele Strecken, die mit dem Auto bewältigt werden, sind kurz. Der Pendelweg zur Arbeit etwa, die Einkaufsfahrt oder der Kindershuttle zur Schule. Diese Bedingungen sind ideal für Batterie-elektrische Kleinwagen. Die Reichweite ist unwichtig, weil sie selbst bei den preisgünstigsten Exemplaren für Alltagstouren genügt. Gleichzeitig ist die Förderung von 9.570 Euro auf den Kaufpreis bei ohnehin billigen Fahrzeugen prozentual besonders hoch. Aber trotz der dokumentiert hohen Nachfrage ist das Angebot mager. Was passiert hier?

Die Verkaufsstatistik für Batterie-elektrische Autos bis inklusive November im Jahr 2021 ist ein klares Zeugnis: Unter den Topsellern ist nach Analyse des Branchendiensts electrive.net der Volkswagen e-Up (Platz 2), der Smart Fortwo (Platz 6) und der Fiat 500 (Platz 9). Nach der Definition der Europäischen Union gehören diese drei zu den Kleinstwagen. Das Kraftfahrtbundesamt bezeichnet sie schlicht als Minis. Zählt man nun noch jene Elektroautos dazu, die von der EU als Kleinwagen gezählt werden – obwohl sie bei der tatsächlichen Größe nahe an einem Golf 4 sind – kommen noch der Renault Zoe, das City-SUV Hyundai Kona und der BMW i3 unter die verkaufsbesten 10.

Energie- ohne Verkehrswende

Gerade bei den Kleinstwagen, die aus Perspektive der Verkehrswende wegen des geringen Flächenverbrauchs und des niedrigen Gewichts ökologisch sinnvoll sind, wird das Angebot leider zunehmend schlechter. Volkswagen streicht den e-Up. Er kann nicht mehr konfiguriert werden. Die baugleichen Derivate Skoda Citigo und Seat Mii sowie der Smart Fortwo sind ebenfalls Auslaufmodelle ohne Nachfolger.

 

Es wirkt auch lieblos, wenn die Unternehmen konstruktiv alte Elektroautos anbieten, die nicht mehr dem aktuellen Stand der Sicherheit entsprechen. So haben kürzlich der Dacia Spring (ab 10.920 Euro nach Förderung) sowie der Renault Zoe im Crashtest des Vereins Euro-NCAP kläglich abgeschnitten: Der Dacia bekommt einen von fünf möglichen Sternen. Der Renault kam zuerst auf gar keinen Stern, könnte aber durch eine angekündigte Überarbeitung auf immerhin einen kommen. Zum Vergleich: Eine Neukonstruktion wie der Fiat 500 erreicht im Ranking vier Sterne.

2022 werden etliche Elektroautos als so genannte kompakte SUVs auf den Markt kommen. Große und schwere Fahrzeuge, die viel Platz bieten. Die Aufzählung umfasst Modelle aus dem Volkswagen-Konzern wie den ID.5 und den Audi Q6 e-tron. Von der Hyundai Motor Group gibt es zum Beispiel den Genesis GV60 oder den Kia EV6. Das in Deutschland produzierte Tesla Model Y kommt hinzu. Und Mercedes wird den EQC durch einen Nachfolger ablösen. Die Liste ist lang. Dagegen ist kein einziger Kleinstwagen zu erwarten.

SUVs mit höherer Marge

„Für die Autoindustrie sind in Deutschland die SUV-Segmente sowie die Golf-Klasse am wichtigsten“, erklärt Professor Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des privatwirtschaftlichen Center Automotive Research (CAR). Es sei aus Sicht der Unternehmen am vernünftigsten, in diesen Segmenten anzufangen: „Bei Kleinwagen muss man wegen der geringen Margen über das Verkaufsvolumen in die Gewinnzone kommen“, analysiert Dudenhöffer und ist zuversichtlich: „Die kleinen Elektroautos kommen zeitversetzt und später“.

Wann das der Fall ist, bleibt offen. Es bleibt also Raum für Spekulationen: So ist der Fiat 500 auf einer Testfahrt von ZEIT ONLINE zwar mit Retro-Optik, aber moderner Technik aufgefallen. Der Stellantis-Konzern könnte auf der gleichen Basis einen Panda bringen. Eine Studie hatte Fiat bereits 2019 unter dem Namen Concept Centoventi vorgestellt.

Überraschend hat auch Akio Toyoda, Präsident von Toyota und Enkel des Firmengründers, bei einer Pressekonferenz Mitte Dezember einen elektrischen Kleinstwagen mitgebracht: Unter dem Label bZ (für beyond zero) war ein „Small Crossover“ zu sehen, das dem Toyota Aygo X auffallend ähnlich sieht. Es dürfte sich schlicht um dessen Batterie-elektrische Version handeln. Der Stromverbrauch, so Toyoda, solle bei nur 12,5 Kilowattstunden pro 100 Kilometer liegen.

Fehlsteuerung der Europäischen Union

Der Bilanzmechanismus der Europäischen Union für die Erhebung der CO2-Emissionen aller Neuwagen macht aber keinen Unterschied zwischen einem solchen elektrischen Kleinstwagen oder einem zweieinhalb Tonnen schweren SUV wie dem BMW iX. Beide gehen mit null Gramm in die Flottenemissionen ein. Je mehr Elektroautos verkauft werden, desto geringer wird der Druck auf die verbliebenen Pkw mit Verbrennungsmotor, sparsamer und folglich CO2-ärmer zu werden.

Im Klartext: Es ist für die Autoindustrie aus finanzieller Sicht am klügsten, margenstarke SUVs zu verkaufen – einmal mit Batterie-elektrischem Antrieb und zugleich mit Verbrennungsmotor beziehungsweise als Plug-in-Hybrid. Das kann als Konstruktionsfehler bei der Berechnung der Flottenemissionen bezeichnet werden. Kleinstwagen dagegen verursachen viel Aufwand und relativ wenig Gewinn.

Es wäre theoretisch möglich, diese Regelung auf der Ebene der Nationalstaaten aufzuweichen. So könnte eine Besteuerung nach Verkehrsfläche oder Gewicht eingeführt werden. In Japan etwa ist die Klasse der Kei-Cars beliebt. Sie dürfen lediglich 3,4 Meter lang und 1,48 Meter breit sein. Auch die Motorleistung ist begrenzt und darf 47 kW (65 PS) nicht übersteigen.

Diese Kriterien würde in Deutschland zum Beispiel der Opel Rocks-e (ab 7.990 Euro) erfüllen. Ein fahrender Würfel mit Ladestecker und ohne Heizung. Weil er nach dem Verständnis der Zulassungsbehörden aber kein Pkw, sondern ein Leichtfahrzeug ist, bekommt er keinen Cent Förderung. Die neue Bundesregierung hat bisher keine Motivation gezeigt, an den Rahmenbedingungen der Verkehrswende etwas zu ändern. Es wird also vorerst so bleiben, wie es ist: Elektrische Kleinwagen sind rar. Elektrische SUVs werden schnell mehr.

Erschienen bei ZEIT ONLINE.

Bildquelle: Toyota

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