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Der Hochsommer ist vorbei. Die gemäßigten Temperaturen sind jetzt ideal für Batterie-elektrische Autos (abgekürzt BEV für Battery Electric Vehicles): Die Zellchemie ist im Wohlfühlbereich. Außerdem muss der Klimakompressor kaum arbeiten. Zu dieser Jahreszeit berichten die Fahrer von besonders niedrigen Verbrauchswerten – wer hat die Marke von zehn Kilowattstunden pro 100 Kilometern unterboten? – und einer hohen Reichweite. Genau diesen Rahmen bildet das Messverfahren des WLTP (Worldwide harmonized Light vehicle Test Procudere) ab: Die Daten werden bei 23 Grad Celsius erhoben. Zusätzliche Verbraucher sind weitgehend abgeschaltet. In der Realität aber kommt der nächste Winter ganz bestimmt. Es geht ins andere Extrem. Und formal würde es eine Methode geben, auch diese Wirklichkeit reproduzierbar abzubilden: Den Tieftemperaturtest bei minus sieben Grad.

Dieser Test wurde auf Ebene der UNECE bereits fertig entwickelt. Er könnte die Basis für eine Erweiterung des WLTP sein. Neben der Außentemperatur von minus sieben statt plus 23 Grad sind weitere Anforderungen definiert: Die Klimaautomatik steht auf 22 Grad, es muss also geheizt werden. Die Scheinwerfer sind genauso eingeschaltet wie die Heck- und (falls vorhanden) Frontscheibenheizung. Der Rollwiderstand, der auf dem Laborprüfstand verstellt werden kann, wird auf die höheren Werte angepasst, die bei minus sieben Grad zu erwarten sind.

Vorgabe AC-Laden

Auch für die Batterieladung gibt es auf UNECE-Ebene bereits Vorgaben. So wird mit Wechselstrom bei der maximal möglichen Leistung des Ladegeräts im BEV (bis zu 22 Kilowatt) geladen. Falls das Elektroauto eine Vorkonditionierung hat, muss dieser Strom während der gesamten Zeit gemessen werden.

Der Tieftemperaturtest wurde in Form eines Zusatzes der bestehenden UNECE GTR 15 veröffentlicht. Die Entscheidung, ob dieses Prozedere für den WLTP in der EU übernommen wird, liegt bei der Europäischen Kommission. Aktuell gibt es leider keine Initiative dazu.

ICCT: „Transparenz bei Reichweite und Verbrauch“

Jan Dornoff vom International Council on Clean Transportation (ICCT) sagt dazu: „Um Transparenz zu schaffen, empfehlen wir, den Tieftemperaturtest so bald wie möglich in der EU einzuführen.“ Und weiter: „Die ermittelte Reichweite und der Verbrauch sollten separat in den Verkaufsunterlagen sowie auf dem Effizienzlabel ausgewiesen werden.“ Der Vorteil: Ein Kaufinteressent hätte mit der Kombination aus dem bestehenden WLTP unter Idealbedingungen und dem Kälteszenario bei minus sieben Grad eine realistische von-bis-Spanne.

Niedrige Temperaturen stellen ohnehin hohe Anforderungen an die Zellchemie: Das Beratungsunternehmen P3 hat analysiert, was genau bei Kälte passiert. So liegt die optimale Starttemperatur der Batteriezellen für den Ladevorgang bei 20 bis 30 Grad. Wenn das Batteriesystem sehr kalt ist, zum Beispiel bei null Grad Celsius, hat es einen sehr großen Innenwiderstand, und die steigende Viskosität des flüssigen Elektrolyten verstärkt diesen Effekt. Zu Beginn entweicht der Großteil der Ladeleistung als Wärme, die für die Selbstaufheizung notwendig ist. Das automatische Vorkonditionieren der Batterie sei bei Kälte darum essentiell, sagt P3.

Lithium-Plating ruiniert die Dauerhaltbarkeit

Das Vorheizen ist auch für die Lebensdauer der Batterie sehr wichtig: Eine nicht temperierte Zelle altert während der Lade- und Entladezyklen bei unter fünf Grad vier Mal so schnell wie eine, die bei großer Hitze beladen und entladen wird. Die Folge des (schnellen) Ladens bei Kälte ist das Lithium-Plating. Metallisches Lithium scheidet sich an der negativen Elektrode ab und steht nicht mehr für den Ladungstransport zur Verfügung. Das führt laut P3 zu einer Verringerung der Kapazität um 50 Prozent oder höher und einer exponentiellen Verkürzung der Lebensdauer. Zusätzlich können sich bei zunehmendem Lithium-Plating so genannte Dendriten bilden, wodurch die Gefahr eines Kurschlusses mit Feuerrisiko steigt.

CATL verspricht 4C-Ladung

Moderne Batteriesysteme können und müssen dem entgegenwirken. CATL, der mit Abstand größte Hersteller weltweit, hat im Juni die „Qilin“-Batterie  vorgestellt. Dieses System kann mit unterschiedlichen Zellchemien (NMC, LFP, andere) bestückt werden. Zwischen den Zellen ist eine Ebene integriert, die sowohl eine sehr hohe Kühl- als auch Heizleistung hat. CATL gibt an, dass die Laderate in der Folge auf 4C gesteigert werden kann, was einer Zeitspanne von zehn Minuten für das Laden von zehn auf 80 Prozent entspricht.

Für den normalen Elektroautofahrer muss einfach nur der Alltag funktionieren. Zurück zum Tieftemperaturtest: Für die Selbsteinschätzung wäre es vorm Kauf ein großer Vorteil, wenn der Kunde für Stromverbrauch und Reichweite eine von-bis-Spanne hätte. So würden auch die Unterschiede bei der Qualität der Batteriesysteme deutlich. Schließlich wollen die meisten Menschen das ganze Jahr über unterwegs sein und nicht nur bei schönstem Sonntagswetter.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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