Risiko Gigacasting?

Tesla praktiziert es beim Model Y. Toyota wird es ab 2026 tun. Volvo, Hyundai, Ford und vielleicht der Rest der Autoindustrie sind dabei oder folgen: Das stundenlange Schweißen, Fügen und Kleben von vielen Karosserieteilen zum Beispiel beim vorderen und hinteren Unterboden wird durch einen einzigen Aluminiumdruckguss ersetzt. Tesla und Toyota nennen diesen Fertigungsprozess Gigacasting. Volvo spricht lieber von Mega und Hyundai von Hyper. Gemeint ist das Gleiche: Pressen mit mehreren tausend Tonnen Kraft schaffen in einem Arbeitsschritt ein Aluminiumdruckgussteil. Meistens kommen diese Maschinen vom italienischen Zulieferer IDRA. Hier findet eine kleine Revolution statt. Aber hat das Verfahren, dass die Produktion beschleunigt und so Elektroautos preisgünstiger machen könnte, nur Vorteile? Die Befürchtung: Ein Auffahrunfall könnte den wirtschaftlichen Totalschaden bedeuten, weil Austausch oder Reparatur eines riesigen Einzelteils zu teuer oder unmöglich sind.

Eine klare Antwort darauf gibt es noch nicht. Zwar ist das Tesla Model Y zurzeit das meistverkaufte Auto (nicht nur Elektroauto) in Europa; Auffälligkeiten sind bisher nicht zu beobachten. Es kann sein, dass es einfach kein Problem mit der im Gigacasting gefertigten vorderen und hinteren Bodengruppe für die Fahrwerksaufnahme gibt. Es kann aber auch sein, dass schlicht zu wenig Zeit auf den Straßen vergangen ist, um einen Trend bei den Model Y festzustellen.

heise Autos hat in der Versicherungswirtschaft nachgefragt. Schließlich würden die Halter eines Model Y sich zuerst an die Haftpflichtversicherung des Fahrers werden, der einem aus welchen Gründen auch immer ins Heck gekracht ist.

Aluminiumdruckgussteile durch vorgelagerte Bauteile schützen

Der Leiter der Sicherheitsforschung im Allianz Zentrum für Technik (AZT), Carsten Reinkemeyer, äußert sich differenziert. Solange solche Aluminiumdruckgussteile durch andere vorgelagerte Bauteile konstruktiv geschützt wären und es Reparaturlösungen geben würde, wäre daran nichts zu beanstanden: „Wir fordern daher eine definierte Crashzone mit Crashboxen auch im Heckbereich des Fahrzeugs, Reparaturlösungen zum Austausch der hinteren Längsträgerstrukturen sowie genügend Abstand der Gussstrukturen zu seitlichen Crashereignissen im Niedriggeschwindigkeitsbereich“, so Reinkemeyer.

Ein gutes Beispiel für eine intelligente Lösung sei der BMW i3, heißt es weiter vom AZT. Dessen Kohlefaser-Karosserie wäre ein vergleichbares Großbauteil, das durch abschraubbare Deformationselemente an Front und Heck im alltäglichen Unfallgeschehen gut geschützt werden konnte.

Natürlich gibt es einen Parameter, an dem sich eine im Sinn der Reparaturfähigkeit negativer Verlauf schnell ablesen ließe: Die Vollkasko-Typklassen der Versicherer, in denen sich das Schadensgeschehen der letzten drei Jahre abbildet. Hier ist ein Tesla Model in Klasse 25 eingeordnet, beim BMW iX1 ist es die 23 und beim Volkswagen ID.4 die 20 oder 21.

Toyota: Aus 90 mach 1

Zurück zum Vorgang an sich, dem Gigacasting: Toyota hatte im Juni auch konkrete Zahlen veröffentlicht, was untypisch für den zurückhaltend kommunizierenden Weltmarktführer aus Japan ist.

Derzeit, so heißt es bei Toyota, würde ein vorderer Unterboden aus 90 und der hintere aus 85 Teilen bestehen. Mit dem Gigacasting ist es in einem noch nicht präsentierten Elektroauto ab 2026 je ein Teil vorne und hinten. Die Entwicklungskosten würden nur 70 Prozent des Bisherigen betragen, und in Zukunft sei eine Halbierung möglich. Die Investitionen in die Fabrik halbieren sich sofort.

Wenn ein Konzern wie Toyota, der quasi sinnbildlich für die permanente Verbesserung aller Produktionsprozesse (Kaizen) steht, das Gigacasting einführt, könnte das exemplarisch für die gesamte Autoindustrie stehen.

Was die Reparaturfähigkeit betrifft, kommt es offensichtlich darauf an, wie man das Gigacasting einbettet. Für die negative Vorstellung, dass mittelfristig nur noch Wegwerfautos verkauft werden, die bei einem ordentlichen Rempler auf dem Supermarktparkplatz ein wirtschaftlicher Totalschaden sind, gibt es heute keine Belege.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Volvo

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