Wir sind in ein neues Zeitalter eingetreten“, sagt Shigeki Terashi im Juni. Der Fortschritt, so der hochrangige Toyota-Manager, habe die Erwartungen übertroffen. Zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio wolle man eine Batterie mit festem Elektrolyten präsentieren. Eine Äußerung, die vielfach zur Euphorie führte: In der japanischen Unternehmenskultur wird lieber tiefgestapelt. Wenn Toyota von einem Durchbruch spricht, müsste also etwas dran sein. Und in der Tat wäre die Serienproduktion einer All Solid State-Batterie eine Revolution in der Zellchemie, die sich bisher lediglich evolutionär entwickelt hat. Davon aber sind alle Beteiligten weit entfernt.
Das zeigt auch der Blick ins Kleingedruckte bei Toyota. Anlass der Aussage von Terashi war die Verkündigung mehrerer Kooperationen. Unter anderem will Toyota mit dem langjährigen Partner Panasonic, bei dem die Nickel-Metallhydridbatterien für die Hybridautos gefertigt werden, „bis Ende 2020 ein Joint Venture zur Entwicklung“ von Festkörper-Akkus gründen. Allein diese Formulierung belegt, wie weit man von einer Serienproduktion weg ist. Trotzdem sind sich Industrie und Forschung einig: Die Chancen sind groß und das Potenzial von All Solid State herausragend.
Ein wichtiges Bewertungskriterium für Batteriezellen ist die Energiedichte. Hierbei wird zwischen der gravimetrischen in der Einheit Wattstunden pro Kilogramm (Wh/kg) und der volumetrischen in der Einheit Wattstunden pro Liter (Wh/l) unterschieden. Typische Zellen liegen bei 250 Wh/kg und über 600 Wh/l. Beide Parameter sind wichtig: Das Gewicht, weil es den übelsten Nachteil der Batterien an sich, nämlich den extremen Materialeinsatz widerspiegelt. Außerdem kann nach Angaben von BMW zwar gut 60 Prozent der elektrischen Energie beim Verzögern rekuperiert werden – das bedeutet aber zugleich, dass mehr als ein Drittel verloren geht. Der Ballast eines Elektroautos ist folglich weniger wichtig als bei konventionellen Pkws, aber auch aus energetischer Perspektive keineswegs gleichgültig. Die volumetrische Energiedichte wiederum ist relevant, weil der Trend zu immer mehr Kapazität den benötigten Bauraum erhöht. Der liegt wie bei Volkswagens Modularem Elektrifizierungsbaukasten (MEB) am besten zwischen den Achsen und ist nicht unbegrenzt verfügbar.
Bis zu 70 Prozent mehr volumetrische Energiedichte
Die Einführung von festen Elektrolyten könnte die gravimetrische Energiedichte um 40 Prozent und die volumetrische um 70 Prozent steigern. Das erklärt Dr. Johannes Kasnatscheew vom Forschungszentrum Jülich im Gespräch mit ELECTRIVE.net. Der Wissenschaftler hat erst zu flüssigen Elektrolyten gearbeitet und ist nun auf Festelektrolyt-Batterien spezialisiert: „Wir suchen nach dem Material, dass den besten Kompromiss ermöglicht.“ Es gibt sowohl anorganische Elektrolyte wie Keramiken und Gläser als auch organische wie Polymere. Beide haben Vor- und Nachteile.
So zeichnen sich anorganische feste Elektrolyte durch eine vernünftige Leitfähigkeit, hohe mechanische Robustheit, aber sehr große Kontaktwiderstände beim Laden und Entladen aus. Der Strom, der fließt, ist noch zu gering. Organische feste Elektrolyte dagegen haben weniger Kontaktwiderstand, jedoch eine geringe Leitfähigkeit. Auf den Kongressen der Wissenschaftler wird diskutiert, welche Verbindung geeignet ist: Zurzeit sind sulfidisch basierte anorganische keramische Festelektrolyte der Favorit in Sachen Leitfähigkeit.
Der Clou ist die Lithium-Metall-Anode
Bei den aktuellen Batterien ist der flüssige Elektrolyt das inaktive Medium, in dem die Lithium-Ionen zwischen Kathode und Anode wandern. Der Clou bei den festen Elektrolyten ist allerdings nicht der simple Ersatz im Sinn eines Austauschs: „Mit festen Elektrolyten können sich Lithium-Metall statt graphitbasierter Anoden realisieren lassen“, erklärt Dr. Johannes Kasnatscheew. Erst damit kommen die großen Fortschritte bei der Energiedichte.
Sollte das funktionieren, würde das zugleich den Energieeinsatz bei der Produktion und damit die CO2-Bilanz drastisch verbessern: Die Trocknung ist heute ein aufwändiger und energieintensiver Prozess. Dieser wäre zumindest anodenseitig überflüssig, wenn feste Elektrolyte verwendet werden, weil Lithium-Metall als Folie vorliegt. Dass auch die Giftigkeit reduziert werden kann, kommt dazu.
Auf die Frage, wie er die Umsetzungsperspektiven einordnet, bleibt Kasnatscheew diplomatisch: „Feste Elektrolyte sind sehr vielversprechend, aber noch herausfordernd.“
Erfolg der Festelektrolyt-Batterien ist fraglich
ELECTRIVE.net sprach mit weiteren Fachleuten in der Branche. So sei weder die Serienproduktion noch der Einbau in ein Serienauto vor 2025 zu erwarten. Bislang gäbe es kein Muster von Festelektrolyt-Batterien, das aktuelle Produkte in ihren Eigenschaften schlagen könnte. Darüber hinaus müsse erst gezeigt werden, wie reine Lithium-Metall-Anoden sicher und in Massen produziert werden könnten.
Klar ist zugleich, dass von den aktuellen Lithium-Ionenzellen mit flüssigem Elektrolyten Milliarden gebaut werden, ohne dass es nennenswerte Schwierigkeiten gibt. Deren Entwicklung bleibt ebenfalls nicht stehen; es gibt eine permanente evolutionäre Verbesserung. Eine Ablösung der heutigen Lithium-Ionen-Generation, so heißt es von einem Fachmann, stehe nicht zur Debatte.
Dennoch gehören die Forschung und Entwicklung an All Solid State-Batterien nicht ins Märchenreich der Wunderversprechen. Die Ernsthaftigkeit, mit der weltweit und von vielen Menschen daran gearbeitet wird und die Transparenz, die von wissenschaftlichen Instituten eingefordert wird, sind kein Garant für den Erfolg, aber ein Beleg dafür, dass es die begründete rationale Hoffnung auf Veränderung gibt. The Next Big Thing.
Erschienen bei ELECTRIVE.net.