Das Aus vom Aus, das keines ist.

Gesetze sind von Menschen gemacht und können – anders als physikalische Naturgesetze – verändert werden: Die Europäische Kommission hat am Dienstagabend einen Vorschlag zur Neufassung des CO2-Flottenmechanismus präsentiert. Dieser Entwurf wird anschließend mit dem Parlament und dem Rat im Trilog verhandelt. Gegenüber dem ursprünglichen Ziel beinhaltet die Gesetzesinitiative aber lediglich minimale Aufweichungen: Der Rahmen für die Neuzulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor über 2035 hinaus ist äußerst eng. Das Aus vom Aus findet nahezu nicht statt. Und ein Profiteur der neuen Regeln könnte ausgerechnet Volkswagen sein.

Konkret sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass der Durchschnitt der im Europäischen Wirtschaftsraum neu zugelassenen Pkw ab 2035 nicht um 100 Prozent gegenüber dem Ausgangsjahr 2021, sondern um 90 Prozent reduziert werden muss. Hier zeigt sich bereits, wie gering die geplante Überarbeitung ist.

Kompensation durch CO2-arme Stähle und klimaneutrale Kraftstoffe

Zwar dürfen formal sämtliche Antriebe mit Verbrennungsmotor (hybridisiert oder nicht) auch über 2035 hinaus im Rahmen der verbliebenen zehn Prozent zugelassen werden. Die EU-Kommission hält trotzdem am Klimaschutzziel fest: Die CO2-Emissionen dieser Pkw müssen nachweisbar entweder durch CO2-arme und in Europa produzierte Stähle (sieben Prozent) oder durch klimaneutrale Kraftstoffe (drei Prozent) kompensiert werden. Die wenigen e-Fuels, die absehbar produziert werden, könnten zum Beispiel in einem Porsche oder einem Ferrari verbrannt werden.

Mehr Flexibilität bekommt die Autoindustrie außerdem in den Jahren 2030 bis 2032: Wie in der Abrechnungsperiode von 2025 bis 2027 kann ein Verfehlen der CO2-Ziele in einem Zulassungsjahr durch ein entsprechendes Plus in einem anderen Jahr ausgeglichen werden. Normalerweise müssen die Vorgaben in jedem Jahr eingehalten werden.

Supercredits für neue Kleinwagenklasse

Eine Besonderheit ist die Einführung der Fahrzeugkategorie M1e: Für Elektroautos bis 4,2 Meter Länge soll es Supercredits geben; sie werden in der CO2-Bilanz mehrfach angerechnet. Das ist der Versuch, eine europäische Kei Car-Klasse nach dem Vorbild Japans einzuführen, wo die Grenzabmessungen mit 3,4 Meter Länge und 1,48 Meter Breite jedoch erheblich geringer sind.

Dazu gibt es ähnliche Anpassungen bei leichten und schweren Nutzfahrzeugen sowie günstige Kredite für Investitionen in die Batterieproduktion.

Das ist die Sachlage. Was die Vertreter der politischen Lager aus dem milden Veränderungsvorschlag der EU-Kommission dagegen machen, ist teilweise absurd.

„Kultobjekt statt Kampfobjekt“

Der Erste, der die Idee bejubelte, war Manfred Weber (CSU), der zurzeit der Partei- und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volksparteien (EVP) ist. Er ging letzte Woche zur Bild-Zeitung, um der Sache den richtigen Dreh zu geben: „Zigtausend Industriearbeitsplätze“ würden so gesichert, behauptet Weber, und er betont: „Für uns ist und bleibt das Auto ein Kultobjekt, kein ideologisches Kampfobjekt“.

Der EVP-Vorsitzende Weber wollte mit dieser Aktion offensichtlich die Deutungshoheit bekommen. Seht her, wir haben den Verbrennungsmotor gerettet. Ihr könnt beruhigt schlafen.

Wenig Kritik aus der Autoindustrie

Dass es genau diese konservative Parteienfamilie war, die in Parlament und Rat nur wenige Jahre zuvor den aktuell gültigen CO2-Mechanismus verabschiedet hat, scheint er vergessen zu haben. In den meisten der 27 EU-Staaten werden Autos oder Zulieferteile gebaut. Es hatte keinen nennenswerten Widerstand aus diesen Staaten gegeben – unter anderem, weil endlich Planungssicherheit hergestellt wurde, und die wird von der Autoindustrie im Grundsatz geschätzt.

Hier setzt auch die Kritik an, die Jan Dornoff vom International Council on Clean Transportation (ICCT) am Entwurf der EU-Kommission übt: Es brauche „technologische Klarheit statt Verwirrung“, so Dornoff.

Aus der Autoindustrie selbst dagegen ist nur wenig Kritik zu hören. Das könnte daran liegen, dass die meisten Inhalte weitgehend im Sinn der europäischen Hersteller sind.

Supercredits auf europäische Massenhersteller zugeschnitten

Ein Beispiel dafür ist der Renault Twingo, dessen Preis nur wenige Stunden zuvor veröffentlicht wurde: In der höchsten Ausstattungsvariante Techno inklusive bidirektionalem Ladegerät und zeitgemäßen Fahrassistenten kostet der Twingo 21.090 Euro. Zwar beträgt die Normreichweite nur 263 Kilometer. Die Frage muss aber erlaubt sein, wie weit dieser Wert bis 2035 durch den Preisverfall sowie den technischen Fortschritt der Batterien ansteigt und wie viele Käufer mit dieser zukünftigen Reichweite nicht leben können.

Renault kann den Twingo genau wie den R4 und den R5 für die neue Fahrzeugkategorie M1e mit Supercredits mehrfach anrechnen. Ähnlich sieht es bei Volkswagen aus. Die komplette Kleinwagenfamilie, die ab April auf die Straße kommt, ist kürzer als die 4,2 Meter, die für M1e vorgesehen sind: Der ID. Polo, der ID. Cross, der Skoda Epiq, der Cupra Raval und später der VW ID.1, sie alle machen Supercredits.

Volkswagen dominiert den Elektroautomarkt

Unabhängig von diesem Effekt ist es kaum erträglich zu sehen, wie der Erfolg von Volkswagen beim Verkauf von Elektroautos in Deutschland kleingeredet wird: Der Konzern dominiert die Rangliste, während die angeblich überlegenen Produkte aus China bisher keine Marktrelevanz haben. Wer glaubt, dass das an quasi-mafiösen Strukturen im einheimischen Neuwagenmarkt liegt, kennt die Qualitäten der Elektroautos der Konzerne BMW, Mercedes und Volkswagen nicht.

Ein reales Risiko ist allerdings die Abhängigkeit von China bei der Herstellung der Batteriezellen. Hier arbeitet die EU an Rahmenbedingungen, die zumindest dazu führen sollen, dass diese Zellen in Europa produziert statt importiert werden. Siehe oben, die Kreditvergabe.

Es wäre schön gewesen, wenn die EU-Kommission für mehr Eindeutigkeit gesorgt hätte. Das Gegenteil ist abseits der Fachkreise der Fall. Die normalen Menschen wissen nicht genau, wie sie sich verhalten sollen.

Erschienen bei heise Autos.

Bildquelle: Renault

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ähnliche Beiträge

Beginne damit, deinen Suchbegriff oben einzugeben und drücke Enter für die Suche. Drücke ESC, um abzubrechen.

Zurück nach oben

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen