Doppelbelastung

Die Stickoxidemissionen von Autos mit Dieselmotor sind mehr als zweimal so hoch wie die von Lastkraftwagen. Das ergibt einer Analyse des International Council on Clean Transportation (ICCT). Damit bestätigt die Forschungsorganisation einen Verdacht, der spätestens seit Dieselgate im Raum steht, bisher aber nicht mit Messdaten belegt werden konnte. Und wie immer lohnt es sich, die Details der Untersuchung zu lesen um zu prüfen, was genau verglichen wurde.

Basis des durchschnittlichen Stickoxid-Ausstoßes der Pkw sind die bekannten Ergebnisse des Kraftfahrtbundesamtes (KBA). Alle getesteten Autos erfüllen auf dem Papier – also gemäß den Rahmenbedingungen des Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) – den für Selbstzünder gültigen Euro 6-Grenzwert von 80 Milligramm pro Kilometer. Die Straßenmessungen mit einem Portable Emissions Measurement System (PEMS) ergaben aber rund 500 mg / km.

Auffällig bei den KBA-Messungen war die hohe Bandbreite der Werte. So fiel der Renault Kadjar mit rund 1.500 mg / km negativ auch, und die Dieselvarianten des Opel Zafira (über 900 mg / km) oder des Porsche Macan (über 800 mg / km) zeigten im Realbetrieb eine schwache Reinigungsleistung. Andere Autos wie der BMW 530d oder der Volkswagen Passat 2.0 TDI zogen den Durchschnittswert nach unten – einmal mehr wird offensichtlich, dass der Konflikt aus sauberer Atemluft einerseits und Kosten für die Abgasnachbehandlung andererseits sehr unterschiedlich gelöst wurde.

Mercedes Actros mit 159 mg / km

Die Messwerte der 24 zum Vergleich herangezogenen Nutzfahrzeuge (Lkw und Busse) stammen vom Technischen Forschungszentrum Finnland (VTT) sowie vom KBA. Das KBA bekommt die Daten durch „in-service conformity“-Erhebungen. Ein konkretes Beispiel: Ein Mercedes Actros 1842 Bluetec 6 mit 420 PS fuhr auf öffentlichen Straßen eine 187 Kilometer lange Strecke. Das Gesamtgewicht während dieser Tour betrug 28 Tonnen. Pro Kilometer kamen 159 mg aus dem Auspuff; der Durchschnitt aller getesteten Nutzfahrzeuge lag bei 210 mg / km.

Schwere Nutzfahrzeuge können also sogar im absoluten Vergleich einen Vorteil haben – im Verhältnis zur Transportarbeit sowieso. Die Ursache dafür sieht der ICCT in den erheblich strengeren gesetzlichen Auflagen für Lkws und Busse. So sieht die Euro VI (also römisch sechs, nicht zu verwechseln mit der arabischen Ziffer bei der Euro 6 für Pkw) seit 2014 ein „PEMS testing program“ vor, also eine verpflichtende Straßenmessung im so genannten RDE (Real Driving Emissions).

Eine Vorgabe, die in diesem Jahr auch für Pkw implementiert werden soll. Und hier beginnen die Probleme.

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung wurde vom ICCT bewusst vor der nächsten Verhandlungssitzung in Brüssel am 17. Januar gewählt. Die Forschungsorganisation ist einer der wenigen Nicht-Industrievertreter vor Ort.

„in-use“ statt Golden Car

Worum geht es? Dass RDE mit PEMS für Autos eingeführt wird, ist beschlossen. Aber um die Details und die Ausgestaltung wird mit größter Härte gekämpft.

Am 17. Januar geht es um den Vorschlag der EU-Kommission, analog zu den Nutzfahrzeugen „in use“-Autos, also Fahrzeuge aus dem Feld, zu messen. Die Lobby der Industrie dagegen möchte so genannte „pre-production“-Autos, also spezielle Prototypen verwenden. Diese heißen im Jargon auch Golden Cars. Dem Vernehmen nach gibt es erheblich Widerstände „einiger Fahrzeughersteller und EU-Mitgliedstaaten“, so der ICCT.

Es kann hier keineswegs davon ausgegangen werden, dass die Gegenwehr ausschließlich aus Deutschland oder nur von deutschen Herstellern kommt. Denn einen Filz aus nationaler Produktion und ebensolcher Typprüfung gibt es in Frankreich und Italien genauso – betrachtet man nun die wirtschaftliche Position etwa von Renault oder FCA und zugleich das Produktportfolio, wäre es verwunderlich, wenn aus diesem Lager größte Zustimmung zu den Verschärfungsplänen der EU-Kommission kommen würde.

Zurück zur Analyse des ICCT. „Bezogen auf den Kraftstoffverbrauch und unter Berücksichtigung der höheren Lastanforderungen für Lkw und Busse liegen die Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw um den Faktor 10 höher als die vergleichbaren Werte für Nutzfahrzeuge“, sagt Rachel Muncrief, die Autorin der Studie.

So kann und wird es nicht bleiben. Es wird den Autoherstellern nicht mehr gelingen, schlechte Realemissionen zu vertuschen, denn PEMS-Geräte verkaufen sich gut. In der Folge wird es immer größere Datenmengen geben, die eine funktionierende von einer quasi-funktionslosen Abgasreinigung abgrenzen. Die Hersteller, die einen relativ sauberen Dieselantrieb bauen können, werden in Zukunft höchsten Wert darauf legen, dass katastrophale Negativergebnisse der Konkurrenz nicht auf das allgemeine Image drücken. Sonst wenden sich die Kunden zunehmend vom Selbstzünder ab.

Erschienen am 6. Januar bei heise Autos.

Bildquelle: Daimler

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