Die Bänder laufen wieder an: Im Werk Zwickau, wo Volkswagen das Elektroauto ID.3 baut, wird die Produktion seit dem 20. April schrittweise wieder hochgefahren. Man habe sich, so Markenvorstand Brandstätter, in den letzten drei Wochen intensiv vorbereitet, einen „umfangreichen Maßnahmenkatalog zum Gesundheitsschutz der Belegschaft erarbeitet“ und den „Wiederaufbau der Lieferketten“ vorangetrieben. Je höher die Stückzahl, desto geringer ist die Zahl der Kurzarbeitenden. Und Volkswagen verspricht: Das Elektroauto ID.3, konstruiert für die Masse und in direkter Konkurrenz zum Golf 8, wird wie geplant in den Verkauf gehen.
Volkswagen hatte den Batterie-elektrischen ID.3 im September auf der letzten Internationalen Automobilausstellung (IAA) am Standort Frankfur vorgestelltt. Der Produktionsanlauf war im November. Und die Auslieferung soll „im Sommer“ stattfinden, also wahrscheinlich im August oder September; dieser Zeitpunkt nach den traditionellen – aber lebenspraktisch kaum noch vorhandenen – Werksferien ist für neue Modelle üblich. Dass trotzdem nicht alles wie immer ist, liegt nicht nur an der Coronakrise.
Modularer Elektrifizierungsbaukasten für viele Modelle
Die Zeitspanne vom Produktionsanlauf im November bis zur Auslieferung ist etwas länger als gewöhnlich. Volkswagen baut mit dem ID.3 das erste Auto auf Basis des so genannten Modularen Elektrifizierungsbaukastens mit dem Kürzel MEB. Dieser MEB ist wichtig für Volkswagen. Er bedeutet die Abkehr von einem Mischkonzept wie beim Golf 7, der sowohl für Verbrennungs- als auch Elektromotoren vorbereitet war. Der MEB ist dagegen die konsequente Ausrichtung auf den Batterie-elektrischen Antrieb, und etliche Fahrzeuge werden dem ID.3 folgen: Das wichtigste ist der ID.4, eine Art elektrischer Tiguan, also ein SUV. Seine Premiere fand bereits digital statt, weil der Genfer Autosalon wegen der Coronakrise abgesagt wurde. Ab 2021 kommt der ID.4 zum Kunden, und 2022 folgt ein Passat mit Elektromotor, der zurzeit noch ID Space Vizzion genannt wird.
Zurück zum ID.3: Über 300.000 Exemplare können in Zwickau pro Jahr gefertigt werden. Im Moment aber, und das ist kein Geheimnis, werden einige von Mitarbeitern gefahren, und andere stehen auf Freigeländen herum. Dass Volkswagen-Angestellte den ID.3 ausprobieren dürfen, hängt mit dem Risiko zusammen, dass der Hersteller eingeht. Die potenziellen Käufer in Deutschland, Europa und der Welt sind in ihrer Haltung weniger technikzentriert als jene von Tesla. Ein Beta-Test in Kundenhand ist für Volkswagen unvorstellbar; man will eventuelle Mängel vorab erkennen und abstellen. Ein Volkswagen muss simpel und für jeden bedienbar sein. So wird die heimische Ladestation für den ID.3, die Wallbox „ID Charger“, in der Basisversion (399 Euro) mit fest installiertem Kabel und Stecker ausgerüstet. Das erinnert ein bisschen an eine Zapfsäule.
Software wird „aktualisiert“
Und die Software? Hier gibt es dem Vernehmen nach Probleme. Wie groß oder klein diese wirklich sind, ist unklar. Sicher und bestätigt ist nur, dass Volkswagen in der Produktion die jeweils aktuelle Software aufspielt und dann, so sagt es die Pressestelle auf Anfrage von ZEIT ONLINE, vor der Auslieferung im Sommer auf den neusten Stand gebracht wird. Und weiter: „Nach dem Marktstart des ID.3 werden die digitalen Funktionen in den Folgemonaten regelmäßig aktualisiert“. Updates sind also inklusive.
Die 1st Edition des ID.3 ist längst ausverkauft. Das sind die ersten 30.000 Exemplare, die von Frühbuchern in ganz Europa bestellt wurden. Diese 1st Edition soll definitiv noch in diesem Jahr komplett auf der Straße sein. Wie es dann weitergeht, hängt allerdings weniger von der Software als vielmehr von den CO2-Flottengrenzwerten der Europäischen Union ab.
Hier hat sich durch den Gesetzgeber ein seltsames Paradox ergeben: Alle im Europäischen Wirtschaftsraum, also der EU plus Norwegen, Island und Liechtenstein, im Jahr 2020 neu zugelassenen Autos dürfen im Durchschnitt nicht mehr als 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen. Die Basismotorisierung des Golf 8 (ab 20.000 Euro) liegt mit 102 g / km bereits leicht darüber. Zum Ausgleich braucht Volkswagen Elektroautos, die mit null Gramm in die Bilanz eingehen und 2020 sogar doppelt angerechnet werden. Schafft Volkswagen es nicht, den EU-Grenzwert einzuhalten, drohen Milliardenstrafen.
Punktlandung statt Übererfüllung
Gleichzeitig ist es aber für keinen Autohersteller erstrebenswert, das CO2-Ziel zu unterbieten: Das tatsächliche CO2-Ausgangsniveau des Jahres 2020 ist die Basis für die zukünftige Reduktion von weiteren 37,5 Prozent bis 2030. Wer jetzt zu gut ist, muss also mittelfristig mehr leisten. Die Industrie strebt darum die Punktlandung an – es dürfen nicht zu wenig Elektroautos verkauft werden, aber auch nicht zu viele.
Anders als vielfach vermutet ist Volkswagen aber auch ohne den ID.3 bereits erfolgreich beim Verkauf der Stromer. So ist der e-Golf nach den Daten des Branchendienstes ELECTRIVE.net im ersten Quartal das meistverkaufte Elektroauto in Deutschland – gefolgt vom Renault Zoe und dem Tesla Model 3. Der e-Golf wird fast das ganze Jahr 2020 noch gebaut. Und der Kleinstwagen e-Up ist ebenfalls beliebt.
Eigentlich soll der preisgünstigste Volkswagen ID.3 mit dem kleinsten Batteriepaket knapp 30.000 Euro kosten. Davon gehen 3.000 Euro Staatsförderung ab, die an weitere 3.570 Euro Unternehmensnachlass gekoppelt sind. Macht 23.430 Euro für den Endkunden. Sollte die Coronakrise zu einer Art Abwrackprämie 2.0 führen und die Subvention für Elektroautos nochmals erhöht werden, wäre ein ID.3 als Alternative zum Golf 8 noch attraktiver. Zu viele Exemplare dürfen aber wegen der Ausgestaltung des CO2-Flottengrenzwerts nicht verkauft werden. So könnte im Ergebnis eine Verzögerung der Auslieferung bis ins Jahr 2021 weniger an der Pandemie oder vermeintlichen Softwareproblemen, sondern an gesetzlichen Umweltauflagen liegen.
Erschienen bei ZEIT ONLINE.