Die Fastfood-Kette McDonald’s wird an über 1.000 Standorten in Deutschland schnelle Gleichstrom-Säulen (abgekürzt DC für direct current) errichten. Burger essen, Strom ziehen. Gut 40 davon gibt es bereits, und in Kooperation mit EWE Go sollen 2021 etwa 200 und in den Folgejahren jeweils weitere 250 Filialen versorgt werden. Es handelt sich um so genannte High Power Charger (HPC), die bis zu 150 Kilowatt (kW) Ladeleistung bieten. Diese Zusammenarbeit aus einem Unternehmen mit vielen Parkplätzen sowie einem großen Energieunternehmen ist repräsentativ für eine der Entwicklungen in der Branche der Ladeinfrastruktur: Eine hohe Zahl von Kunden verspricht eine bessere Auslastung. Und Geschäfte von McDonald’s über Ikea bis ALDI verbessern so den Service und binden die Käufer an sich.
Diese Win-Win-Situation wird genauso staatlich gefördert wie alle anderen öffentlich zugänglichen Ladestationen: Der Steuerzahler kommt im Regelfall für die Hälfte der Hardwarekosten sowie für bis zu 75 Prozent der zusätzlichen Anschlusskosten wie einen Transformator auf. Trotzdem beklagen die Betreiber, dass sich die Investitionen mangels Auslastung derzeit nicht rentieren.
Für Unternehmen wie McDonald’s ist es selbstverständlich, ideale Standorte zu identifizieren. Zum Beispiel entlang der Autobahnen und an Verkehrsknotenpunkten. Aber wie viele Ladepunkte werden insgesamt und in einer definierten Zeitachse gebraucht? Und in welchem Verhältnis müssen die schnellen DC- und gemächlichen AC-Ladepunkte (Abkürzung für alternating current, Wechselstrom) stehen?
Bedarfsanalyse der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur
Das hat das Reiner Lemoine Institut im Auftrag der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur untersucht. Letztere ist Teil der NOW, einer bundeseigenen Gesellschaft im Besitz des Verkehrsministeriums. Eine im November veröffentlichte Studie entwarf Szenarien für den Markthochlauf der Ladeinfrastruktur bis zum Jahr 2030.
Besonders interessant an dieser Studie sind so genannte Cleanroom-Gespräche mit in Deutschland tätigen Automobilherstellern. Deren Ergebnis: Die Industrie geht inzwischen von einem überraschend starken Zuwachs der reinen Elektromobilität aus. 2030 werden den Selbsteinschätzungen zu Folge 14,8 Millionen Pkw einen Ladestecker haben; davon entfallen 9,8 Mio. auf Batterie-elektrische Autos und der Rest auf Plug-in-Hybride. Gemessen an den heute rund 47 Mio. Autos ist das fast ein Drittel des Gesamtbestands.
Die Studie der Nationalen Leitstelle Ladeinfrastruktur definiert grundsätzlich einem Zielkorridor, also eine von-bis-Angabe. So soll die Zahl der privaten AC-Ladepunkte 2030 bei 5,4 bis 8,7 Mio. liegen. Aktuell werden Anschaffung und Installation solcher Wallboxes mit pauschal 900 Euro direkt gefördert; zuständig für die Ausschüttung ist die KfW. Ebenfalls mit Wechselstrom arbeiten die 2,5 bis 2,7 Mio. Ladepunkte am Arbeitsplatz, die außerdem notwendig sind.
Das Entwicklungsszenario sieht vor, dass 2030 76 bis 88 Prozent der Ladevorgänge privat erfolgen. Dementsprechend entfallen 12 bis 24 Prozent auf den Rest. An den privaten Wallboxes werden aber nur 41 Prozent der notwendigen Energiemenge verladen, weil die Leistung und damit Geschwindigkeit dort geringer ist.
Die für das komplette Jahr 2030 notwendige Energiemenge für die Elektromobilität beziffert die Studie auf 30 Terawattstunden (TWh) Strom. Allerdings dürfte der reale Bedarf etwas höher liegen, weil mit einem Verbrauch von nur 18 kWh / 100 km gerechnet wird. Das ist nach Einschätzung von heise Autos zu wenig. Über vier Jahreszeiten, alle Fahrzeugsegmente, möglichen Autobahnbetrieb und inklusive Ladeverluste gerechnet dürfte der Wert klar über 20 kWh / 100 km liegen. Zur Einordnung: Der Gesamtstromverbrauch in Deutschland 2020 liegt bei rund 510 TWh.
Eine wesentliche Bedeutung bekommen Schnell-Ladeparks. Nach dem Vorbild von Teslas Superchargern ist das eine Ansammlung von DC-Säulen an stark frequentierten Standorten. Werden immer mehr dieser Hubs gebaut und intensiv genutzt, könnten 2030 nur 440.000 öffentliche Ladepunkte gebraucht werden. Diese Zahl steigt auf 843.000 notwendige Einheiten, falls der Anteil der DC-Säulen geringer und der der AC-Säulen höher ist.
Der Bund schreibt 1.000 DC-Standorte aus
Überhaupt, die Ladeparks: Sie sind der Schlüssel für die Elektromobilität abseits der Heimladung. Also unterwegs und auf der Langstrecke. Am bekanntesten sind – neben den Superchargern von Tesla – die Hubs von Ionity. Ionity ist ein Joint-Venture der deutschen Autokonzerne sowie Ford und Hyundai. Dort, wo es wichtig ist, hohe Energiemengen in kurzer Zeit ins Elektroauto zu kriegen, sind diese Ladeparks elementar.
Ionity bietet heute eine Ladeleistung von 350 kW an. Zum Vergleich: Eine typische Wallbox für die Garage hat elf kW. Um diese hohe Ladeleistung an mehreren Plätzen gleichzeitig liefern zu können, brauchen solche Parks einen Anschluss ans Mittelspannungsnetz mit einem Transformator. Der Staat hilft, siehe oben, aber ein Geschäftsmodell hat sich mangels Nachfrage noch nicht etabliert. Das könnte sich zeitnah ins Gegenteil drehen, wie Volkswagen warnt: Der Boom der Elektroautos führt leicht zu einem Engpass, befürchtet man in Wolfsburg.
Die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur bemängelt den Ausbaustand der DC-Säulen in mehrfacher Hinsicht. Es gibt nicht genug davon, sie sind nicht gut verteilt, und die Nutzerfreundlichkeit muss besser werden, so die Analyse. Konsequenz aus der Kritik: Statt wie bisher bestimmten Unternehmen die Ausführung zu überlassen und anschließend Fördergeld zu verteilen, erfolgt ein Paradigmenwechsel.
Konkret schreibt der Bund demnächst 1.000 DC-Standorte aus. Das heißt, dass Firmen wie bisher die Ladesäulen errichten und betreiben. Aber die Staatsförderung ist an Voraussetzungen gebunden: So wird es nicht mehr möglich sein, besonders attraktive Einzelstandorte zu versorgen und andere zu vernachlässigen. Stattdessen werden gute und schlechte nur zusammen vergeben. Und die Lücke zwischen Einnahmen und Ausgaben der Betreiber schließt der Staat mit Steuergeld.
Die Nationale Leitstelle will auch den Komfort beim Laden erhöhen. Das betrifft scheinbare Banalitäten wie eine Überdachung, aber auch saubere Toiletten, einen kleinen Einkaufsladen oder freies WLAN. Es bleibt abzuwarten, wie genau die Ausschreibungsbedingungen aussehen. Die Gespräche dazu laufen. In wenigen Monaten soll es losgehen.
Roamingkonflikt eskaliert
Unterdessen spitzt sich der Streit um Roaminggebühren zu – auf Kosten der Elektroautofahrer. Prinzipiell bedeutet Roaming, dass es möglich ist, den Strom über das selbstgewählte Versorgungsunternehmen an jeder beliebigen öffentlichen Säule abzurechnen. Was zwischen diesem Electric Mobility Provider (EMP) und dem Betreiber der konkreten Ladestation, dem Charge Point Operator (CPO) pro Kilowattstunde bezahlt wird, ist gesetzlich nicht geregelt und kann darum frei verhandelt werden.
Das wiederum führt zu Auswüchsen oder besser: Zu einem speziellen Auswuchs. Ionity, das Joint-Venture der deutschen Autokonzerne sowie Ford und Hyundai, hat sich über den Aufbau eines europaweiten DC-Netzwerks eine starke Marktposition geschaffen. Und die wird von den beteiligten Automarken reichlich ausgenutzt. Wer keinen Vertrag mit Ionity hat, bezahlt in Deutschland 77 Ct./kWh. Wer dagegen zum Beispiel einen Volkswagen ID.3 hat, Kunde beim Dienst We Charge ist und eine monatliche Grundgebühr ausgibt, kommt auf nur 29 Ct./kWh. Aktueller Höhepunkt: Kunden des bekannten EMPs Plugsurfing müssen bei Ionity ab 15. Januar 1,09 Euro/kWh bezahlen.
Angesichts dieser Firmenpolitik verwundert es nicht, dass einer der größten Anbieter in Deutschland den eigenen Strom überall außer bei Ionity verkauft: Die EnBW, deren Ladeprodukt e-mobility+ auch als ADAC e-charge vertrieben wird, verzichtet zurzeit auf die Zusammenarbeit mit Ionity.
Einige Elektroautofahrer wünschen sich darum ein Eingreifen des Staates, zum Beispiel in Gestalt der Bundesnetzagentur. Das Argument: Ionity hat genau wie alle anderen Ladesäulenbetreiber viel Fördergeld erhalten. Darum könnte eine Regulierung des freien Markts gerechtfertigt sein.
Wann kommt das perfekte Laden?
Angeblich, so berichtet es der Branchendienst ELECTRIVE.net im Oktober, diskutiert die Bundesregierung auch über eine verpflichtende Einführung einer Kreditkarten-basierten Zahlungsoption an jeder Säule. Das würde zusätzliche Bewegung in einen Markt bringen, der dabei ist, sich zurecht zu rütteln.
Eigentlich würden sich Elektroautofahrer aber eine Lösung wie bei den Superchargern von Tesla wünschen: Es genügt, einmalig im Auto eine Kreditkartennummer zu hinterlegen. Das Laden an sich funktioniert nach dem Einstecken von der Identifikation bis zur Abrechnung automatisch. Und wie viel Cent pro Kilowattstunde das kostet, kann direkt im Display abgelesen werden.
Ein Vorgang, der technisch bei allen Elektroautos machbar wäre. Stichwort: Plug & Charge nach ISO 15118. Bis zum perfekten Laden werden aber wohl noch drei bis vier Jahre vergehen. So bleibt es weiterhin am schönsten, den Strom zu Hause in die Batterie zu laden. Am besten den von der Fotovoltaikanlage auf dem Dach.
Erschienen bei heise Autos.