Zukunft in der Gegenwart

Endlich ein Autobahn-taugliches Elektroauto. Ich stelle den adaptiven Tempomat des Toyota Mirai auf 178 km/h (mehr geht nicht) und nehme die A1 von Hamburg nach Düsseldorf. Die Strecke ist stark befahren. Top Speed? Unmöglich. Stattdessen lasse ich die Vorausfahrenden die Geschwindigkeit bestimmen. Mal geht es mit 160 km/h voran, mal mit 130, und drei Staus zwingen mich zum totalen Stillstand. Es herrscht der ganz normale Wahnsinn. Im Toyota Mirai dagegen ist Ruhe.

Der japanische Konzern hat den Brennstoffzellen-elektrische Mirai aus den Vollen geschnitzt. Die Geräuschdämmung ist aufwändig. Die Abstimmung des Fahrwerks ist komfortabel. Die Verarbeitungsqualität ist hoch. Alles am Mirai, dessen Name übersetzt Zukunft bedeutet, ist auf Entspannung ausgelegt. Reisen statt Rasen, Gleiten statt Heizen. Da stört es nicht, dass die Spitzenleistung vergleichsweise bescheidene 114 kW (155 PS) beträgt. Das reicht mir. Immer. Was Toyota mit dem Fahrzeug zeigen will, ist: Wir nehmen diese faszinierende Technik ernst und können uns die Massenproduktion vorstellen.

Der Mirai ist eine Repräsentationslimousine im doppelten Sinn. Zum einen für die Besitzer (Grundpreis und zugleich voll ausgestatteter Endpreis: 78.600 Euro), zum anderen für den Hersteller. Es ist eine der Überraschungen in diesem Test, dass viele Passanten das Auto erkennen und ihr Wohlgefallen ausdrücken. Ein freundliches Nicken mit dem Finger auf den Fuel Cell-Schriftzug. Verdrehte Köpfe. Ausdauerndes Gucken. Gezückte Smartphones. Offenbar funktioniert das Design, obwohl es vorwiegend dem japanischen Geschmack entsprechen soll: Spacig, sagen einige, Manga-Style, kommentieren andere. Das Echo auf der Straße ist weitaus positiver als das in den Internetforen.

Produktion kontrolliert hochfahren

Die Motivation für Toyota, 3.000 Exemplare pro Jahr zu bauen, ist unter anderem die Prozessoptimierung. Die Japaner sind bekannt dafür, Produktionsabläufe Stück für Stück zu verbessern. Sie fangen langsam und sehr planerisch an um zu lernen. Das Ziel ist die maximale Kontrolle über ein zukünftiges Massenprodukt, das fehlerfrei und verlässlich funktionieren soll. Das tat der Mirai auf jedem der über 1.300 Test-Kilometer schon jetzt. Leise, geschmeidig und angenehm. Sportlich und dynamisch? Eher nicht.

Kern des Antriebs ist die Brennstoffzelle. In ihr reagieren der Wasserstoff (chemisches Kürzel: H) aus dem fünf Kilogramm fassenden Tank und Luftsauerstoff. Das Ergebnis ist Strom zum Fahren. Als Abfallprodukt entstehen etwas Wärme und reines Wasser.

Der Clou am System ist das Gefühl, ein Elektroauto ohne Einschränkungen zu fahren. Ich prüfe die Reichweite nicht (es waren gut 400 Kilometer) – das mache ich bei einem Auto mit Verbrennungsmotor schließlich auch nicht. Ich will nur wissen, ob auf der Route eine H-Tankstelle liegt. Die Zeit fürs Auffüllen stoppe ich nicht, denn sie ist ungefähr so kurz wie die bei Superbenzin oder Dieselkraftstoff.

Fahren ohne Einschränkung statt somehow always wired

Somehow you are always wired – irgendwie hängst Du immer am Kabel, hat ein Ingenieur über Batterie-elektrische Autos zu mir gesagt. Ich gebe ihm ein bisschen Recht. Denn tatsächlich grübele ich bei einer Tour mit BMW i3, Nissan Leaf oder Volkswagen e-Golf oft übers Laden nach. Wo und wie lade ich vorm Start voll? Ist die entscheidende DC-Säule auf der geplanten Route gerade frei? Wie viele Kilowattstunden muss ich nachladen, um sicher zum Ziel zu kommen? Sollte ich die Geschwindigkeit reduzieren, damit die Batterie nicht zu heiß wird? Habe ich den richtigen Identifikationschip, um den Strom freizuschalten? Und so weiter, und so fort. Im Brennstoffzellen-elektrischen Toyota Mirai habe ich diese Gedanken nicht. Stattdessen fahre ich einfach.

Es gibt wenig Zweifel, dass dem Batterie-elektrischen Pkw eine glänzende Dekade bevorsteht. Es gibt aber offene Fragen, auf die Brennstoffzellen-elektrische Fahrzeuge eine Antwort sind.

Ressourcenbedarf wird wichtiger als Energieeinsatz

Konkret: Wenn pro Jahr über 100 Millionen neue Pkw plus Nutzfahrzeuge ausschließlich Batterie-elektrisch fahren sollen – zu welchem Preis werden die notwendigen Ressourcen dafür gefördert? Der Akku eines Audi e-tron wiegt über 700 Kilogramm. Wie viel die Batterie des von Elon Musk angekündigten Tesla Semi Trucks auf die Waage bringt, verrät er nicht. Hier droht eine gigantische Materialschlacht. Der einstige Kritikpunkt an der Brennstoffzelle, nämlich der Platinbedarf von 20 bis 30 Gramm, ist dagegen vernachlässigbar – zumal die Abgasreinigung eines Diesel-Pkw mit SCR-Katalysator eine ähnliche Menge benötigt. Fuel cells are fool cells, behauptet Elon Musk. Es lohnt sich, diese abwertende Aussage zu überprüfen und zweimal hinzuschauen.

Langfristig wird übrigens die CO2-Bilanz für die unterschiedlichen elektrischen Antriebe wegen des steigenden Anteils erneuerbarer Energien sukzessive besser. Das gilt sowohl für den CO2-Rucksack, der bei der Herstellung von Batterien entsteht, als auch für die Menge Kohlendioxid, die durch die Produktion von Wasserstoff frei wird. Energie wird unwichtiger, weil Wind- und Solarenergie günstiger und häufiger werden. Material dagegen gewinnt an Relevanz in einer Welt mit wachsender Bevölkerung und hohem Mobilitätsanspruch.

Neben den vielen internationalen Nutzern, für die Batterie-elektrische Autos hervorragend einsetzbar sein werden, wird es Anwender geben, die eine Alternative brauchen oder wollen. Zum Beispiel Vielfahrer jeder Art. Oder der öffentliche Nahverkehr, für den etwa der polnische Hersteller Solaris eine Wasserstoffversion des 12-Meter-Busses Urbino vorgestellt hat. Oder Menschen, die es bequem mögen. Es sollte die Wahl geben, ob ein Kunde dafür zum Verbrennungsmotor oder zum Brennstoffzellen-elektrischen Antrieb greifen kann.

Die Hersteller in den asiatischen Nationen Japan, Südkorea und China jedenfalls haben sich entschieden. Sie streben die Vollelektrifizierung an, also das Aus des Verbrennungsmotors. Und sie werden das durchziehen – nach aktueller Einschätzung mit Batterien einerseits und Brennstoffzellen andererseits.

Fehlende Infrastruktur, keine Marktpreise

Kommen wir zu den Nachteilen: Von einer Kilowattstunde Strom erreichen laut PricewaterhouseCoopers 70 Prozent das Rad eines Batterie-elektrischen Autos. Beim Brennstoffzellen-elektrischen sind es nur 36 Prozent. Das könnte sich in den Preisen an der Wasserstoff-Tankstelle widerspiegeln. Dort aber sind die Marktgesetze noch außer Kraft gesetzt: Der fixe Kurs von 9,50 Euro pro Kilogramm wurde festgelegt, als fossile Kraftstoffe teurer waren; man wollte Kostengleichstand suggerieren. Wann es eine Öffnung für den Wettbewerb und echte Preise gibt, ist unklar.

Der Toyota Mirai brauchte von minimal 0,7 kg im gemächlichen Stadtverkehr bis 1,6 kg bei Vollgasfahrt. Bei gesitteter Autobahnfahrt waren es 1 bis 1,3 kg und im Überlandbetrieb 0,9 kg. Im Mittel ergaben sich trotz des hohen Autobahnanteils 1,1 kg auf 100 Kilometer. Der Tank entleert sich übrigens im Gegensatz zu Batterien nicht bei längerem Stillstand. Dieser Mythos geht auf die 90er Jahre zurück, als mit tiefgekühltem Wasserstoff experimentiert wurde und zur Selbstentleerung (Boil-off) führte. Und natürlich darf der Mirai in jedes Parkhaus rein.

Einen deutlichen Nachholbedarf hat allerdings die Infrastruktur. Die Liste der zeitnahen Eröffnungstermine kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Stand heute elementare Lücken gibt: So sind weder die wichtigste Nord-Süd-Achse Deutschlands, die Autobahn A7, noch die wichtigste West-Ost-Achse (A2) durchgehend befahrbar. Der Aufbau dauert schlicht zu lange; die Realität könnte Ende 2018 da sein, wo die Planung 2015 war. Dem Vernehmen nach behindert vor allem das Klein-Klein lokaler Behörden den Zubau.

Erstklassig elektrisch fahren

Zurück zum Auto, dem Toyota Mirai. Er verkörpert das, was die Marke ausmacht. Problemlosigkeit, simple Bedienung und das sympathische japanische Understatement. Die Kombination aus dem Komfort des Brennstoffzellen-elektrischen Fahrens und der Alltagstauglichkeit ist so überzeugend, dass auch die Skeptiker sich damit befassen sollten. Wasserstoff ist für bestimmte Einsatzzwecke überlegen, und er setzt als Energieträger ein großes Fragezeichen an die Annahme, dass allein Batterien die Zukunft gehört.  Was dem Mirai noch fehlt, ist ein Package, das stärker dem europäischen Zeitgeist entspricht. Das gibt es ab Spätsommer in Gestalt des Hyundai Nexo – einem Brennstoffzellen-elektrischen SUV mit den Abmessungen eines Volkswagen Tiguan Allspace für die unbeschwerte Familienfahrt ohne Verbrennungsmotor. Konkurrenz belebt das Geschäft.

Erschienen am 29. Juni bei heise Autos.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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