Französischer Profi

Schick ist ein Lehnwort aus dem Französischen. Und eine Beschreibung, die auf den Renault Megane E-Tech zutrifft. Zumindest sagen das manche Passanten und jene Neugierigen, die den neuen Renault als Elektroauto identifiziert haben. Er steht gedrungen auf der Straße und bullig. Das liegt an der geringen Höhe von 1,51 Meter, die das Resultat des nur elf Zentimeter hohen Batteriesystems ist. Hier ist ein Kompaktwagen entstanden, der anders als der Volkswagen ID.3 kein Van-artiges Design hat. Der Renault ist einfach ein nett anzusehendes Auto, und auch beim Fahren hat er viele Stärken. Der Preis des von uns ausprobierten Megane E-Tech EV60 220 hp optimum charge in der zweitteuersten Ausstattungslinie Techno beginnt bei 44.700 Euro. Rechnet man den aktuellen Fördersatz von 9.570 Euro ein, bleiben also mindestens 35.130 Euro.

Nähert man sich dem Megane E-Tech, fährt der Türgriff aus. Das funktionierte im Test durchgehend und fehlerfrei, und auch das automatische Wiederverschließen arbeitete verlässlich. Beim Einsteigen entsteht im Vergleich zum Volkswagen ID.3 ein Wow-Effekt: Die Materialauswahl ist hochwertig. Der Stoff auf dem Armaturenbrett ist ein Beispiel dafür. Alles wirkt erwachsen und setzt sich klar von der Formengestaltung im VW ab, die nach Playmobil aussieht. Auch die Verarbeitungsqualität im Renault ist solide.

Sofort auffällig sind außerdem die beiden Displays: Eins als digitales Cockpit mit den üblichen Anzeigen. Und ein stehendes in der Mitte. Diese Screens sind nicht nur viel größer als im Volkswagen ID.3. Auflösung, Arbeitsgeschwindigkeit und Funktionsweise sind schlicht überlegen. Das merkt man als Fahrer vor allem durch die Abwesenheit jeglicher Störungen und Bugs. Das Teil läuft, und auch die Integration von Google überzeugt.

Routenführung inklusive Vorkonditionierung

Google bedeutet konkret zum Beispiel: Die Spracherkennung war einwandfrei und rechnet für Adressen schnell die Zielführung aus. So, wie es Millionen von Android-Nutzern vom Smartphone kennen. Dazu kommt eine automatische Implementierung von Ladestopps, der prognostizierte Ladestand (abgekürzt SOC für State of Charge) am jeweiligen Haltepunkt sowie die dazugehörige empfohlene Wartezeit. Dabei lassen sich die gewählten Säulen vielfältig filtern, im Wesentlichen also nach Anbietern und Ladeleistung. Zusätzlich bereitet der Renault Megane E-Tech bei der Navigationsführung das Batteriesystem durch gezieltes Heizen oder Kühlen aufs Laden vor; diese Vorkonditionierung hat dazu geführt, dass die maximal erreichbare DC-Leistung von 130 Kilowatt (kW) in der Praxis tatsächlich abrufbar war.

Genauso sollte es bei jedem Batterie-elektrischen Auto sein. Weil es aber keineswegs so ist, muss es immer wieder erwähnt werden. Diese Einfachheit der Bedienung ist wichtig, weil auch ungeübte Fahrer sofort und intuitiv damit klarkommen. Das Vorbild für diese Form der Convenience muss erwähnt werden: Tesla.

Schön geformt und sinnvoll in der Handhabung im Renault sind auch die Hard Keys für die Klimatisierung. Beim Einlegen der Fahrstufe fällt allerdings ein kleiner Bedienungsmangel auf: Der Hebel liegt nah oberhalb des Scheibenwischerhebels, was beim blinden Zugreifen zur Verwechslung führen kann. Ein Plus dagegen ist der geringe Wendekreis von 10,4 Meter, den Renault trotz Frontantrieb realisieren konnte. Mit 4,20 Meter ist er sechs Zentimeter kürzer als ein Volkswagen ID.3, was im Innenraum kaum feststellbar ist. Man merkt eben, dass der Megane E-Tech als Elektroauto konzipiert worden ist und, das sollte nicht unterschätzt werden, dass der oder die Renault Zoe vor über neun Jahren vorgestellt wurde; es gibt offensichtlich einen großen Erfahrungsschatz.

Beim Fahren kann die Rekuperation über Wippen links und rechts in mehreren Stufen verstellt werden. Einen automatischen adaptiven Modus wie etwa bei Mercedes gibt es leider nicht. Je nach persönlichem Geschmack gleitet man entweder nahezu widerstandsfrei dahin oder lässt den Elektromotor den Großteil der Verzögerung verrichten.

Viel Kraft, mäßige Lenkung

Power ist mit 160 kW (Dauerleistung laut Fahrzeugschein: 55 kW) ordentlich vorhanden, und bei Bedarf geht es in 7,4 Sekunden auf 100 km/h und weiter bis 160 km/h. Die schnelle Kurvenhatz ist aber nicht das Wohlfühlterrain des Megane: Die Lenkung bietet zu wenig Rückmeldung und ist gefühlsarm. Das ist die deutlichste Schwäche dieses Autos. Hier sollte Renault nacharbeiten. Der Volkswagen ID.3 ist zwar in seiner Leistungsentfaltung leicht phlegmatisch, beschleunigt wegen des Heckantriebs jedoch perfekt aus engen Kurven heraus, zeigt selbst bei Nässe keine Traktionsschwächen und hat eine präzise Lenkung.

Das komfortable Cruisen ist eher die Sache des Renault Megane E-Tech als die Querdynamik. Der Abrollkomfort der 20 Zoll-Felgen – sie sind die einzige Alternative zur 18-Zoll-Basisbereifung – ist gut, wobei die Fahrwerksgeräusche hörbar und nicht so aufwendig gedämmt sind wie im VW. Insgesamt ist der Renault ein leises Auto, und der wirklich gute Klang des Harman Kardon-Soundsystems stellt feinsinnige Menschen jederzeit zufrieden.

Jetzt, wo es auf die Sommersonnenwende zugeht, sind die relativ kleinen Fensterflächen angenehm. Man sitzt subjektiv geschützt, und das Armaturenbrett ist schlank genug gestaltet, um das Raumgefühl nicht zu beeinträchtigen. Ein Abstrich ist die Übersicht vor allem nach hinten. Der wird durch den digitalen Innenspiegel abgemildert. Nicht jeder wird sich an das Kamerabild gewöhnen wollen: Der Fahrer per Hebel kann wählen, ob er nicht doch analog durch die Heckscheibe blicken will.

Der Testwagen war mit dem „Augmented Vision & Advanced driving-Paket“ (2.600 Euro) ausgerüstet, was nicht als Augmented Reality-Projektion im Sinn des Volkswagen ID.3 missverstanden werden sollte. Das Paket beinhaltet unter anderem eine 360 Grad-Rundumsicht-Kamera (nützlich beim urbanen Einparken) sowie einen Tempomat mit automatischer Übernahme der Geschwindigkeitsbegrenzungen. Das klappt ähnlich gut wie bei den besten aktuellen Fahrzeugen, also schon ziemlich gut, aber noch nicht in allen Situationen makellos. Wir haben das System häufig benutzt, was das Beste ist, was sich über Assistenzsysteme sagen lässt.

Stromverbrauch ähnlich wie im Volkswagen ID.3

Der Onboard-Stromverbrauch des Renault Megane E-Tech lag bei durchschnittlich 18,5 kWh / 100 km und damit auf dem gleichen Level wie zuvor ein Volkswagen ID.3 (18,7 kWh). Inklusive Ladeverlusten (das ist, was der Halter bezahlen muss) betrug der Verbrauch 20,9 kWh / 100 km. Die Werksangabe, die nach WLTP gemessen wird und die Ladeverluste beinhaltet, sind 16,1 kWh / 100 km.

Die Spreizung des Verbrauchs nach Einsatzzweck: Bei Richtgeschwindigkeit (Tachowert dabei: 132 km/h) zeigte der Bordcomputer genau 22 kWh / 100 km. Der höchste Wert überhaupt wurde bei Dauervollstrom auf der Autobahn mit 32,1 kWh ausgewiesen und der niedrigste im Überlandbetrieb mit 14,3 kWh. Wir vermuten, dass mit der Basisbereifung unter günstigen Bedingungen noch niedrigere Werte möglich sind.

Eigentlich würden wir nun eine von-bis-Reichweitenspanne auf Basis der Verbrauchsdaten vorrechnen. Renault bleibt aber wie bisher dabei, mit 60 Kilowattstunden lediglich die Brutto- und nicht die Nettokapazität der Traktionsbatterie anzugeben. Sind es 58, 55 oder 51 kWh?

Formulieren wir es also anders: Wir sind mit dem Renault Megane E-Tech in der Version optimum charge jederzeit gut vom Fleck gekommen. Die Kombination aus ordentlicher DC-Ladeleistung mit durchdachter Routenführung einerseits sowie das AC-Ladegerät mit 22 kW Leistung andererseits machen das Leben leicht. Es gibt auch eine Grundversion mit 7 kW AC-Ladeleistung; die empfehlen wir jedoch nur Leuten, die zu Hause gemächlich laden wollen und können. Die Vielzahl von bundesweiten AC-Ladepunkten ist inzwischen beeindruckend, und besonders Zoe-Piloten werden dieses in dieser Klasse einmalige Feature schätzen.

Ärgernis Ladeinfrastruktur

Ein Ärgernis, für das der Testwagen nichts kann, war einmal mehr die Ladeinfrastruktur. Auf einer definierten Rundfahrt mit rund 400 km Länge sollte drei Mal geladen werden (DC, AC und zum Abschluss voll), und dafür mussten sechs Standorte angefahren werden: Eine DC-Säule war defekt (Reboot-Versuch und Kommentar der Hotline „läuft schon länger nicht“), ein AC-Punkt wurde uns in der Rush-Hour direkt vor der Nase weggeschnappt (Ladeplatz=Parkplatz), und bei einem weiteren Versuch gab es wiederum einen vorher nicht erkennbaren Defekt an der Infrastruktur. Es ist nach so vielen Jahren Elektromobilität manchmal frustrierend, abseits der heimischen Garage Strom zu finden.

Das kann das positive Fazit kaum trüben. Der Renault Megane E-Tech ist eine klare Empfehlung. Die Erfahrung von Renault ist überall spürbar. So muss ein zeitgemäßes Elektroauto sein. Beim Innenraum und der Rechengeschwindigkeit ist der Megane E-Tech dem Volkswagen ID.3 deutlich voraus, und das 22 kW-Ladegerät ist eine willkommene Ergänzung und praktische Erleichterung. Dass zurzeit die gesamte Autoindustrie Lieferschwierigkeiten hat – der Konfigurator von Volkswagen etwa ist stark reduziert – ist ein Problem. Der limitierende Faktor ist die Verfügbarkeit, nicht der hohe Preis. Wer sich für einen elektrischen Kompaktwagen interessiert, sollte den Renault Megane E-Tech unbedingt angucken. Und wir freuen uns, weil er wahrscheinlich ein Ausblick auf das Können des R5 ist, der ab 2024 verkauft werden soll. So kann die Zukunft kommen.

Erschienen bei heise Autos.

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