DC only

AC oder DC? Die Kürzel für Wechselstrom (Alternating Current) und Gleichstrom (Direct Current) waren in der Welt der Ladeinfrastruktur einstmals Anlass für kleine Glaubenskriege: Die einen waren sicher, dass es ausreicht, eine Vielzahl von AC-Punkten zu verteilen. Die anderen waren überzeugt, dass Hochleistungspunkte mit DC das einzig Wahre ist.

Die Frühzeit der Elektromobilität aber ist vorbei. Angesichts des massenhaften Hochlaufs wird das schnelle DC-Laden dominant werden und sich zunehmend durchsetzen. Je mehr Elektrofahrzeuge es vom Pkw bis zum schweren Lkw gibt, desto zwingender wird dieses Phänomen: Keine Skalierung ohne DC! Das bedeutet allerdings nicht das Aus der AC-Wallbox, die zu Hause absehbar die optimale Anwendung bleibt.

Bei der Ladeinfrastruktur lassen sich heute vier Kernbereiche unterscheiden:

  • Die Langstrecke auf Autobahnen.
  • Das Opportunity Charging an öffentlich zugänglichen Parkplätzen.
  • Der Arbeitsplatz.
  • Das eigene Haus.

An der Autobahn auf der Langstrecke ist das schnelle Laden mit Gleichstrom selbsterklärend. Wer eine Reise macht, möchte eine kurze Zwangspause. Vielfach wird hier ausschließlich aus der Perspektive des Nutzers gedacht, also mit dem Fokus auf der Ladeleistung des Elektroautos. Die Benchmark im Breitenmarkt bilden zurzeit die 800 Voltsysteme der Plattform e-GMP aus dem Hyundai-Konzern: Die Werksangabe von 18 Minuten für den Hub von zehn auf 80 Prozent ist in der Realität häufig erreichbar.

Dieser Wert entspricht einer C-Rate von rund 2,3. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts werden 4C oder 5C zur Selbstverständlichkeit gehören. Statt 18 sind nur gut zehn oder noch weniger Minuten notwendig.

Was für den Fahrer angenehm ist, ist aus Sicht der Infrastrukturbranche eine schlichte Notwendigkeit: Am 1. Oktober waren laut BDEW 1,3 Millionen Elektroautos in Deutschland unterwegs. Wenn aus diesen 2,7 Prozent aller Bestands-Pkw 30, 50 oder 100 Prozent plus tausende Lkw werden, wird es eng: Der Platz zum Aufbau von Ladesäulen entlang der Autobahnen ist begrenzt, und Geld für Miete oder Kauf kosten die Flächen auch.

Am Freitag- oder Sonntagnachmittag lässt sich bereits das Queuing beobachten. Die Konsequenz: Wenn immer mehr Elektroautos fahren, muss in so kurzer Zeit wie möglich so viel elektrische Energie wie möglich verladen werden. Sonst funktioniert das System nicht.

Lars Walch, Vice President Sales E-Mobility beim Betreiber EnBW (für Energie Baden-Württemberg AG), sieht im schnellen DC-Laden klar „das beste Kundenerlebnis“. Die EnBW hat eine Sonderrolle, weil sie aus der Tradition eines Energieunternehmens tickt: Man produziert und verteilt Strom und ist es gewohnt, für die Infrastruktur langfristig zu denken.

Und langfristig bietet nur das Laden mit Gleichstrom für den Betreiber die Aussicht, mit den Investitionen in Ladeparks und Trafostationen, in Fundamente und Überdachungen einen Gewinn zu erzielen. Auch das räumt Walch ein – zwar stehe fest, dass mit der Infrastruktur Geld zu verdienen ist. Noch aber ist das nicht so. Unterdessen hat die EnBW 2023 durchschnittlich an jedem Werktag mindestens einen Standort in Betrieb genommen – ausschließlich DC.

Wenn wir von ELECTRIVE.net auf den Markt schauen, sehen wir: Die wichtigsten Wettbewerber von EnBW kommen entweder aus der Autoindustrie selbst (Ionity und Tesla) oder aus der Mineralölindustrie (Aral Pulse von BP und Shell Recharge). Die Ölkonzerne rüsten sich augenscheinlich für den Tag, an dem sie vor irgendeinem internationalen Gericht für die jahrzehntelange Freisetzung von CO2-Emissionen verklagt werden und eine Verteidigungsstrategie brauchen.

Nicht vergessen werden dürfen in diesem Zusammenhang die vielen Stadtwerke: Auch hier setzt sich die Erkenntnis durch, dass das öffentliche Laden nicht mit unwirtschaftlichen AC-Säulen, sondern nur mit DC-Parks zu schaffen ist. AC ist Parkplatz- und Zeitverschwendung.

Die Auslastung jedenfalls liegt bei konstant zwölf Prozent, sagt der BDEW. Übersetzt: Wenn zeitgleich der Bestand an Elektroautos und den Ladesäulen wächst, die Auslastung aber unverändert ist, spricht das für eine vernünftige Ausbaugeschwindigkeit und nicht für ein Übermaß am einen oder am anderen. Wahrscheinlich befindet sich Deutschland zurzeit – anders als vom VDA oder in finsteren Foren zu lesen ist – keineswegs auf einem Irrweg in eine stromlose Sackgasse, sondern im Gegenteil auf der Ideallinie.

Für urbane und verdichtete Räume ist das wichtigste Element das Opportunity Charging an öffentlich zugänglichen DC-Ladeparks in Privatbesitz. Zu Deutsch: Auf dem Supermarktparkplatz. Hier liegt ein gewaltiges Potenzial, dass von den Eigentümern zunehmend erschlossen wird. Es ist keine Zukunftsvision mehr, dass Besitzer von Elektroautos lieber zu einem Einkaufszentrum fahren, bei dem sie quasi im Vorübergehen die Traktionsbatterie vollmachen können.

Das kann sogar im ländlichen Raum gelten, wo eigentlich der eigene Stellplatz mit AC-Wallbox die beste Lösung ist. Den hat aber nicht jeder. Und in der Stadt ist es eben nicht so, dass der Autobesitz durch den ÖPNV ersetzt wird. Das gilt lediglich für bestimmte Mobilitätsgruppen im Epizentrum. Aber Berlin ist nicht nur Friedrichshain und Hamburg nicht nur Sankt Pauli.

In den Metropolregionen wird es neben dem Opportunity Charging an öffentlich zugänglichen Ladeparks bei Einkaufszentren noch die Ladeparks der Mineralölindustrie geben. Nie waren die Grundstücke so wertvoll: Jeder kann sehen, wie bei Aral und Shell eine Reihe Zapf- durch Ladesäulen ausgetauscht wird. Und dann kommt die nächste.

Bis zu diesem Punkt ist alles eindeutig: Wegen der knappen Flächen und der Hochskalierung der Elektromobilität führt am schnellstmöglichen DC-Laden kein Weg vorbei. Das passiert längst, und es wird vor dem Hintergrund des Megawatt Charging Systems (MCS) für Lkw noch mehr werden. Und falls Lastspitzen im Hochspannungsnetz zu teuer werden, müssen eben stationäre Pufferspeicher gebaut werden.

Auf dem Firmenparkplatz des Arbeitgebers aber ist das gleichgültig. Hier darf gemütlich mit Wechselstrom an Wallboxes gesogen werden. Oder?

Sicher ist auch das nicht. Projekte wie Go Eeve vertreten die These, dass es ab einer bestimmten Größe schon heute nicht mehr teurer ist, auf DC statt auf AC zu setzen. Das Prinzip lautet Dockchain: Eine Art Hauptlader versorgt in Abhängigkeit der Nachfrage viele einzelne DC-Punkte mit Strom. Das System ist flexibel erweiterbar, und vor allem bietet es die Option, bei Bedarf schnell zu laden.

Es ist also keineswegs in Stein gemeißelt, dass große Firmenparkplätze mit sehr vielen AC-Punkten bestückt werden müssen. Wahrscheinlich ist das nur eine Zwischenlösung.

Übrig bleibt die Heimanwendung. Hier werden die meisten Ladevorgänge durchgeführt. Nirgends wird die AC-Wallbox so lange in Betrieb sein wie in der eigenen Garage. Zwar werden hier vergleichsweise geringe Strommengen umgesetzt – das Gegenteil ist das MWS für Lkw an Rastplätzen –, aber darum geht es nicht. Privatbesitzer können so langsam laden, wie es ihnen passt. Das schont übrigens auch die Traktionsbatterie und fördert so die Dauerhaltbarkeit.

Dass auch hier das letzte Wort nicht gesprochen ist, werden in Kürze immer mehr DC-Wallboxen zeigen: Sie eignen sich am besten für das bidirektionale Laden.

Wie ein fortschrittliches Haussystem mittelfristig aussehen könnte, führt exemplarisch 1komma5 Grad vor. Interessant wird das Ganze nämlich, wenn ein Elektroauto mit bidirektionaler Ladefähigkeit mit einer DC-Wallbox, einer Fotovoltaikanlage und einem stationären Pufferspeicher kombiniert wird.

1komma5 Grad ist ein Systemanbieter für Hausenergie und verkauft demnächst ein Gesamtpaket , dass diese Hardware durch einen dynamischen Stromtarif ergänzt. Der Staat fördert das mit bis zu 10.200 Euro.

Noch sind DC-Wallboxes die Ausnahme, und außerdem sind sie teuer. Eine Quasar 2 etwa kostet rund 6.000 Euro. Das Sachargument für DC: Sowohl die Fotovoltaikanlage als auch die Traktionsbatterie arbeiten ohnehin mit Gleichstrom. Umwandlungsverluste von DC in AC und zurück werden so vermieden. Dieser Faktor ist durchaus relevant. Die ökonomische Frage ist nun, wie gut es den Produzten der DC-Wallboxes gelingt, die Kosten zu senken.

Sollte das der Fall sein, werden auch im privaten Bereich die AC-Wallboxes zurückgedrängt. Wir reden hier von einem Zeitraum nach 2030.

Die Autoindustrie würde es freuen, wenn sie irgendwann komplett auf das interne AC-Ladegerät verzichten könnte. Hierbei ist es gleichgültig, von welchem Kontinent der Hersteller kommt: Wenn es möglich ist, ein Bauteil wegzulassen, das Geld kostet, Bauraum braucht und ein Gewicht hat, macht die Autoindustrie das sehr gerne. Zwar kostet ein typisches elf kW-Ladegerät inzwischen weniger als 200 Euro. Das wiederum ist ein großer Posten, wenn er millionenfach eingespart werden kann.

Im Ergebnis ist es keineswegs abwegig, in einem Szenario mit 100 Prozent Elektrofahrzeugen von DC only auszugehen. Das kann sehr lange dauern. Vielleicht bis ins Jahr 2050. Ausgeschlossen ist es nicht.

Erschienen bei ELECTRIVE.net.

Bildquelle: 1komma5 Grad

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