Elektroautos sind ideal für die Stadt, funktionieren aber nicht für Städter. Schließlich haben die wenigsten Menschen in den Metropolen einen eigenen Stellplatz oder eine Garage. Und keine Wallbox bedeutet kein Elektroauto. So oder so ähnlich sieht das Negativklischee aus. Die Realität ist eine andere. Zumindest bei mir. Ich wohne in einem hochverdichteten Gebiet in der Freien und Hansestadt Hamburg. Fast zwei Millionen Einwohner gibt es hier, Tausende von Pendlern quälen sich morgens und abends durch den Elbtunnel und über die Elbbrücken. Auch in Bus und Bahn kann es ziemlich eng werden. Ich möchte berichten, wie es mit den Elektroautos bei mir ohne Wallbox klappt – und zwar problemlos.
Meine Erfahrungen sollen keine Belehrungen sein; mir ist bewusst, dass Hamburg nicht allgemeingültig ist. Trotzdem lassen sich viele lebenspraktische Ansätze nicht nur auf andere Städte, sondern auch auf das ländliche Deutschland übertragen.
Zuerst: Der erste Teil des ersten Satzes in diesem Text stimmt nur teilweise. Elektroautos sind nicht ideal für die Stadt, sie sind lediglich besser. Es macht einen Unterschied für die Atemluft, wenn immer weniger Fahrzeuge lokale Abgase ausstoßen. Das beste Verkehrsmittel aber ist für mich das Fahrrad. Sagen Sie’s nicht weiter. Nichts ist so schnell für die Wege zwischen Alster und Elbe. Außerdem ist es für Schreibtischarbeiter wichtig, sich mit der Kraft des eigenen Körpers zu bewegen. Sitzen ist das neue Rauchen.
2013: Nissan Leaf, Smart ed, Tesla Model S und andere.
Die Antwort auf den Alltag mit den elektrischen Testwagen, deren Ära bei mir im Februar 2013 mit einem Nissan Leaf begann und sich im Jahresverlauf mit einem Smart electric drive, einem Tesla Model S 85, einer Renault Zoe sowie einem Volkswagen e-Up fortsetzte, ist banal: Ich bin auf die öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur angewiesen. Mit zugänglich ist gemeint, dass auch private Parkflächen mit Ladepunkten zum Beispiel vorm Baumarkt 24/7 befahren werden können.
Hamburg hatte früh begonnen, ein öffentliches Basisnetz aufzubauen. Das Geld dafür kam zum Beispiel aus dem Konjunkturpaket II von 2009 und immer aus der Steuerkasse des wohlhabenden Stadtstaats.
Anfangs gab es nur AC
Meine circa 400 Kilometer lange Standardmesstour für Testwagen über die Autobahn A1 westwärts nach Bremen, weiter nach Norden über die A27 in Richtung Bremerhaven oder Cuxhaven und zurück über Bundes- und Landstraßen durchs Alte Land war zu Beginn noch abenteuerlich.
Ich erinnere mich gut an diese Runde mit der frühen Renault Zoe. Die konnte ausschließlich Wechselstrom (abgekürzt AC für Alternating Current) laden und das mit 22 Kilowatt (kW) Leistung. Schnelle Gleichstrom-Ladeparks (abgekürzt DC für Direct Current) gab es nicht; selbst Teslas Supercharger waren zwar von Elon Musk angekündigt, aber noch nicht aufgebaut. Ankündigungen sind bis heute nicht so mein Ding, ich mag die Realität lieber.
Die Herausforderung in dieser Frühzeit zwischen 2013 und 2015 war die Kombination aus geringer Verfügbarkeit und dem mangelhaften Roaming. Die universelle Freischaltung des Ladestroms mit App, RFID-Karte oder Ad hoc ist inzwischen verlässlich, allerdings wird die Idee des Roamings momentan durch die weite Spreizung der Preise durch die Betreiber radikal unterlaufen. Hoffentlich ist das nicht mehr lange so.
Begeisterung am Triple Charger
Die Begeisterung in der Szene über die ersten Triple Charger ist heute kaum noch nachvollziehbar. Eine DC-Säule, die zugleich Gleichstrom nach dem europäischen CCS- (Combined Charging System) sowie nach dem japanischen Chademo-Standard bediente und zusätzlich einen AC-Ausgang hatte, war Anlass für Euphorie am digitalen Stammtisch und beim Ladesäulentratsch.
Das ist Vergangenheit, die Welt der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur entwickelt sich dynamisch weiter. Schluss mit den Anekdoten.
Mittlerweile ist das Netz an AC- und DC-Säulen in vielen (nicht in allen) Regionen Deutschlands ausreichend dicht. Egal ob urban oder nicht. So gibt es nur wenige Raststätten oder Autohöfe an Autobahnen, an denen noch keine DC-Parks errichtet sind. Zugleich ist die Nachfrage enorm gestiegen.
AC-Ladeplätze als nächtliche Parkplätze
In Hamburg gibt es haufenweise Elektroautos vom gebrauchten Volkswagen e-Golf über das Tesla Model Y bis zum Porsche Taycan Sports Turismo. Dazu kommen die elektrischen Taxis, Carsharing-Elektroautos sowie eine Vielzahl von Plug-in Hybridautos.
Der Status Quo: An vielen AC-Ladeplätzen stehen Pkw mit Ladestecker, bei denen offensichtlich ist, dass mehr geparkt als geladen wird. Das gilt vor allem nachts. Tagsüber, zwischen 9 und 20 Uhr, ist die Standzeit durch die Stadt auf drei Stunden begrenzt. Vorausgesetzt, der eigene Ladevertrag hat keine Blockiergebühr, wird nachts das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden und geladeparkt, so nenne ich das mal.
Weil der Vertrag, den wir in der Redaktion häufig nutzen, nach vier Stunden AC-seitig eine Blockiergebühr hat, muss ich auf diese Option verzichten. Das ist branchenüblich. Ich teste die AC-Leistung irgendwann tagsüber, wenn die Nachfrage geringer ist. Schafft der Testwagen tatsächlich die versprochenen elf oder 22 kW Ladeleistung?
Mehr Energieinhalt ist mehr Flexibilität
Seit 2020 ist sowohl der durchschnittliche Energieinhalt der Traktionsbatterien als auch die DC-Ladeleistung bei vielen Elektroautos hoch und weiter wachsend. Ein Kia EV3, mit dem ich kürzlich unterwegs war, fasst mit gut 81 kWh drei Mal so viel wie ein Kia Soul von 2014 mit 27 kWh. Der aktuelle Trend bei mir ist aus diesen beiden Gründen: DC only.
Manchmal ist die Reichweite der Elektroautos so hoch, dass die 400 Kilometer lange Standardrunde zu kurz ist. Es gehört zu den ganz wichtigen Inhalten eines Tests, die DC-Ladeperformance zu überprüfen. Am besten nicht nur einmal, sondern mehrfach. Das geht so weit, dass ich den Autoherstellern sage, sie mögen die Testwagen bitte nicht voll oder zu 80 Prozent geladen übergeben, sondern besser mit einem niedrigen Ladestand. Einfach nur Kilometerfressen, um die Batterie zu entleeren, ergibt keinen Sinn.
DC only, weil es billiger und einfacher ist
Um das Budget der Redaktion zu schonen, setze ich den Filter in der Lade-App nach dem Anbieter und dessen DC-Standorten. Die Kosten: 39 Cent pro Kilowattstunde plus 17,99 Euro monatliche Grundgebühr. Ja, Sie haben es gemerkt, zurzeit ist es die EnBW und morgen vielleicht ein anderer Provider.
Die Elektroautos der Hersteller gehören mir nicht. Ich versuche trotzdem, sie so zu behandeln, als wären sie mein Eigentum. Und das bedeutet zum Beispiel, dass ich nur schnell lade, nachdem die Traktionsbatterie vorkonditioniert, also im Regelfall beheizt wurde. Die meisten Elektroautos können das. Die Diskussion, wie stark häufiges DC-Laden den Verschleiß begünstigt, ist hiermit eröffnet.
Ich will am Start- und Zielpunkt in Hamburg nicht mit einem Restladestand von drei Prozent ankommen. Stattdessen lade ich irgendwo im Hinterland – meistens in den Flächenkreisen Cuxhaven oder Stade – kurz so viel nach, dass ich mit rund 50 Prozent einparke. Das ist schonender.
Opportunity Charging: Laden vorm Laden
Oder, das ist die nächste Option, ich mache noch einen Zwischenstopp vorm Supermarkt mit DC-Säule in Hamburg, bevor ich wieder zu Hause bin. Opportunity Charging nennt sich das, und bei mir läuft das wunderbar. Eine Viertelstunde hier, 20 Minuten dort und das alles bitte mit wohltemperierten Batteriezellen.
Das Laden vorm Laden ist momentan meine bevorzugte Wahl. Im Vorübergehen ein paar Kilowattstunden mitnehmen. Das kann für sehr viele Anwendungsfälle funktionieren. Bei mir für fast alle. Würde ich nur privat Elektroauto fahren, wäre das meine Lösung.
Leider ist mir klar, dass die Ladeinfrastruktur genau dort besonders löchrig ist, wo wenig Nachfrage zu erwarten ist. Also in dünn besiedelten Gebieten mit wenig Kaufkraft, wenig Dienstwagenberechtigen und entsprechend wenigen Elektroautos. Ein Blick auf Google Maps reicht aus, um die Standortdichte in der Umgebung zu prüfen. Google Maps hat lange gebraucht, um bei der Suchfunktion unter „Leistungen“ neben den Tankstellen die Ladestationen einzufügen. Immerhin, das läuft jetzt.
In Zukunft mehr Energieumsatz pro Zeiteinheit notwendig
Hamburg ist das Gegenteil davon, das weiß ich, und davon profitiere ich. Für das Haushalts- und Geschäftsjahr 2023 hat die Stadt nicht weniger als 3,3 Milliarden Euro Überschuss erwirtschaftet, wie der Finanzsenator im September bekannt gab.
So viel Geld schafft einen Handlungsspielraum. Den sollte der stadteigene Betreiber Hamburger Energienetze nutzen, um das Modell der vielen AC-Ladeplätze zu überdenken. Der öffentliche Raum muss effizient genutzt werden. Bitte denken Sie an all jene Autofahrer, für die ein Elektroauto noch nicht ansteht und die sich die Frage stellen, warum Parkplätze zu Gunsten von Ladeplätzen wegrationalisiert werden.
Wenn der Bestand von Elektroautos zunimmt, wird das schnelle DC-Laden immer wichtiger. Ganz einfach, weil nur so die ausreichenden Energiemengen pro Zeiteinheit verladen werden können.
Was ich mir wünsche
Das ist meine Analyse der Situation, und sie wird sich ändern, wenn die Wirklichkeit wieder ein Stück weiter ist.
Ich wünsche mir, dass mehr Menschen, die so wie ich ohne eigene Wallbox mit dem Elektroauto unterwegs sind, von ihren Erfahrungen berichten. Von dem, was klappt, und bitte auch von dem, was nicht funktioniert. Nur wenn wir ehrlich über die Missstände reden, kann es zu einer Verbesserung kommen.
Was mich am meisten stört, hat mit der öffentlichen Ladeinfrastruktur an sich zu tun: Die miese Tarifstruktur mit den krassen Unterschieden zwischen den Kilowattstundenpreisen bei Verträgen mit monatlicher Grundgebühr und den Kursen bei Ad hoc-Zahlung. Hier reicht es nicht, darauf zu warten, dass es der Markt regelt. Die Politik muss einen besseren Rahmen schaffen. Vielleicht ist das ein Fall für die Generaldirektion Wettbewerb in Brüssel.
Mein spezieller Dank gilt 3-Phasen-Marc, der mich mehrfach aus schwierigen Ladesituationen befreit hat – zum Beispiel, als er an einem Karfreitag per Software einen festhängenden Stecker aus der Ferne entriegelt hat.
Erschienen bei heise Autos.