Tschüss, Chademo?!

Es gibt Dinge in der elektromobilen Welt, die versteht da draußen niemand. Zum Beispiel, warum in der Europäischen Union drei DC-Ladesysteme konkurrieren, die nicht kompatibel sind. Innerhalb der Community der Stromfans aber kennen wir das ermüdende Gerangel und das Hickhack. Vor allem das zwischen Chademo und CCS. Wer setzt sich durch? Frischen Wind bekommt die Diskussion – Stichworte: SLAM, Ladesäulenverordnung – neuerdings nicht durch den Gesetzgeber. Sondern durch die Hersteller selbst, die zunehmend CCS-Fahrzeuge auf den Markt bringen. Die Macht des Faktischen ist stark.

Schauen wir zuerst auf die Ist-Situation: In Deutschland werden mit BMW i3 sowie den Volkswagen e-Up und e-Golf (den Porsche 918 zählen wir wegen des Exotenstatus nicht mit) lediglich drei Autos mit CCS angeboten. Bei allen kostet das schnelle DC-Laden Aufpreis. Dem gegenüber stehen mit Nissan Leaf, Mitsubishi Electric Vehicle und Outlander PHEV sowie dem Kia Soul EV vier Chademo-Autos. Jemand vergessen? Ach ja, da sind die Drillingsbrüder des kleinen Mitsubishis von Citroen und Peugeot, und natürlich sind auch noch einige Nutzfahrzeuge erhältlich.

Unterdessen möchte der Verein CharIN (Charging Interface Initiative) das Laden vereinfachen. Das Ziel: CCS als Gleichstromstandard etablieren und – das ist wohl noch wichtiger – ein niederschwelliges und simples Bezahlsystem einführen. Auf der Mitgliederliste stehen Audi, BMW, Ford, Opel, Mercedes, Porsche, Volkswagen und Volvo. Sie alle haben sich für CCS entschieden. Und dick gedruckt auf der Homepage von CharIN heißt es: We are not a closed shop.

Dem Vernehmen nach redet selbst Tesla Motors mit CharIN über CCS. Die US-Amerikaner werden längst rechnen: Lohnt es sich, weiterhin eine exklusive Infrastruktur zu unterhalten, um ähnlich wie Apple in der Consumer Electronic einen eigenen Claim abzustecken – oder ist es klüger, im Sinn hoher Stückzahlen dort mitzumachen, wo viele andere sind und sich die Kosten teilen?

Der Markt verschiebt sich zu Gunsten von CCS

Beamen wir uns nun ein gutes Jahr in die Zukunft, in den Sommer 2017. Dann werden die ersten Exemplare von Hyundais gerade auf dem Genfer Autosalon vorgestelltem Ioniq electric auf den Straßen unterwegs sein. Mit CCS, nicht mit Chademo. Und das Gerücht, dass in der Folge auch der technisch verwandte Kia Soul auf CCS setzt, hält sich hartnäckig.

Ebenfalls Mitte 2017 dürfte es ernst werden mit der Europaversion des Chevrolet Bolt, der Opel Ampera-e heißen wird. Auch er lädt Gleichstrom mit CCS. So, wie es General Motors immer angekündigt hat. Der Batterie-elektrische Ampera-e wird spätestens auf der IAA im September präsentiert, und zwar mit 60 Kilowattstunden Kapazität.

Ende 2016 wird Daimler den sehnsüchtig erwarteten Nachfolger des Smart Fortwo electric drive vorstellen. Mit CCS, heißt es in Hintergrundgesprächen, und das gleiche gilt für den Forfour electric drive. Und sollte ein neuer Mercedes kommen – er hätte CCS. Offen bleibt vorerst, wie sich PSA verhält. Die Franzosen von Citroen und Peugeot haben mit dem DS E-Tense gerade eine Studie gezeigt, die ab 2019 in direkte Konkurrenz zu Teslas Model 3 gehen könnte. Chademo? Eher nicht.

Das Produktangebot verschiebt sich also klar in Richtung CCS.

Es gehört zur Realität, dass die absolute Zahl der DC-fähigen Autos im Bestand gering ist. Sind es 15.000 oder 25.000? Auf jeden Fall sehr wenige im Verhältnis zu den insgesamt 45 Millionen Pkws zwischen Flensburg und Füssen. Das Rennen ist also keineswegs entschieden, im Gegenteil, der Marathon beginnt gerade erst.

Offiziell bleiben die Japaner standhaft

Die Japaner werden für den europäischen Markt vorerst an Chademo festhalten. Mitsubishi etwa verkauft ab 2018 die Serienversion des eX. Das SUV wird eine Batteriekapazität von 45 Kilowattstunden, zwei E-Motoren mit je 70 Kilowatt Leistung und Chademo haben. Ganz sicher. Auch die Ladeleistung wird bald über 50 Kilowatt hinausgehen, und die Fähigkeit zum bidirektionalen Laden bleibt erhalten. Hier ist einer der Punkte, an denen CCS dringend nachziehen muss.

Auch Nissan ist Chademo treu: „Das Spiel ist offen“, gibt sich Robert Echtermeyer, Leiter der Hauptstadtrepräsentanz des japanischen Herstellers, überzeugt. Er verweist unter anderem darauf, dass die relevanten Infrastrukturprojekte – SLAM, Fast-E von Allego sowie Tank&Rast – fast alle Multicharger inklusive Chademo aufstellen. Es gibt keinen relevanten Nachteil für die Besitzer der Autos mit dem Standard aus Japan.

Unbekannt ist darüber hinaus die Rolle, die Toyota spielen wird. Es wäre naiv anzunehmen, dass der größte Autohersteller der Welt nicht jederzeit in der Lage wäre, ein Batterie-elektrisches Auto zu konstruieren. Toyota forscht seit über 70 Jahren an elektrochemischen Speichern, und den Hinweis auf BOSCHs neue Zellen mit Feststoff-Elektrolyt kontert man nur trocken mit einem „entwickeln wir seit fünf Jahren“. Hier könnte also ein entscheidender Player zu einer Verschiebung der Gewichte führen.

Eins werden – und damit dem Autofahrer dienen

Die Ladesäulenhersteller beantworten die aktuelle Szenerie nur mit einem Schulterzucken. Hier ist man international aufgestellt, muss also auch noch chinesische Standards berücksichtigen, und überhaupt, heißt es unisono, man baue das, was bestellt wird.

Bei der Frage nach CCS oder Chademo geht es letztlich nicht um Sieg oder Niederlage, um heimlichen Triumph oder persönliche Kränkung. Es geht um den Kunden, um den wirklich wahren Autofahrer, der ein perfekt funktionierendes und einfaches System braucht. Eins, das sich von selbst erklärt. Nur so kann das Batterie-elektrische Fahren zu einem Massenphänomen werden.

Erschienen am 22. März bei ELECTRIVE.net.

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