Nach der elektrischen Interpretation des Golfs – dem Kompaktwagen ID.3 – stellt Volkswagen mit dem ID.4 eine lokal emissionsfreie Alternative zum Tiguan vor: Das SUV soll nicht weniger als ein Weltauto werden. Denn kein Marktsegment wächst so dynamisch wie das der Sports Utility Vehicles: Nach Einschätzung von Volkswagen macht diese Fahrzeugklasse 2025 über die Hälfte der Neuverkäufe aus. Im gleichen Jahr will die Marke insgesamt 1,5 Millionen Batterie-elektrische Autos auf die Straße bringen. In der Addition aus den wichtigsten Zielmärkten in der EU, den USA und in China soll eine halbe Million davon auf den ID.4 entfallen. Der ID.4 ist also eins der wichtigsten Autos im Volkswagen-Konzern und wird folglich eins der meistverkauften Elektroautos überhaupt.
In Deutschland ist der ID.4 ab sofort bestellbar. Ähnlich wie beim ID.3 gibt es zuerst eine 1st Edition, die für 49.950 Euro oder als 1st Max für 59.950 Euro zu haben ist. In beiden Fällen kann die so genannte Innovationsprämie von 9.480 Euro vom Listenpreis abgezogen werden. Serienmäßig bei der 1st Edition sind Dachreling und Anhängerkupplung (Zuglast bis zu 1.000 kg); beim 1st Max kommen ein Panorama-Dach und eine elektrische Heckklappe für den 543 Liter fassenden Kofferraum hinzu.
Technische Daten wie beim Skoda Enyaq
Die Leistungsdaten des Antriebs sind vom Skoda Enyaq bekannt: Der E-Motor an der Hinterachse leistet 150 kW (einstmals 204 PS) und hat ein maximales Drehmoment von 310 Newtonmetern (Nm). Der Standardsprint auf 100 km/h ist in 8,5 Sekunden erledigt, und die Spitzengeschwindigkeit ist auf 160 km/h begrenzt.
Die Energieinhalt der 493 Kilogramm schweren Batterie beträgt 77 Kilowattstunden (kWh) netto. Das soll für bis zu 520 Kilometer reichen. Die Ladeleistung liegt bei bis zu 125 kW mit Gleichstrom (DC) und bei elf kW mit Wechselstrom (AC). Eine Angabe zum Gewicht macht Volkswagen leider nicht. Weil für den kompakten ID.3 Tour mit der gleichen Batterie bereits 1.934 kg veröffentlicht werden, dürfte beim ID.4 die 2-Tonnen-Schwelle deutlich überschritten sein. Schließlich ist er mit 4,58 Meter (m) auch 32 Zentimeter länger. Die Höhe beträgt 1,61 m und die Breite ohne Außenspiegel 1,85 m. Im Zusammenspiel aus hohem Gewicht und großer Stirnfläche bei akzeptablem Luftwiderstandsbeiwert (cW 0,28) sind Praxisreichweiten von rund 300 km auf der Autobahn und mehr als 400 km im Überlandbetrieb zu erwarten.
Der Volkswagen ID.4 ist anders gestaltet als der technisch ähnliche Skoda Enyaq: Während der Enyaq mit klarer Kante bei der Designsprache in Richtung BMW oder Volvo geht, hat der ID.4 fließende Linien. Dass die Pressestelle der Front des ID.4 einen „extrem modernen Charakter“ bescheinigt, gehört zu den branchenüblichen Übertreibungen. Das Gegenteil ist der Fall: Der Volkswagen eckt mit seiner Form nirgends an. Er muss den Kunden in der EU, den USA und China gefallen. Er wirkt unaufgeregt und klar, aber nicht markant.
1st Edition mit üppiger Serienausstattung
Zu den Details der Ausstattung: Bevor der Konfigurator für die Versionen abseits der 1st Edition geöffnet wird, stehen vier Farben zur Auswahl. Sie heißen Blue Dusk Metallic, Glacierwhite Metallic, Honey Yellow Metallic und Mangangrey Metallic. Die Dachlinie mit der C-Säule und die Reling ist in Silber lackiert, das Dach selbst und die Außenspiegel in Schwarz.
Der ID.4 1st Max unterscheidet sich unter anderem durch 21-Zollfelgen, die elektronische Dämpferverstellung (DCC), die LED-Matrix-Scheinwerfer („IQ.Light“) sowie die 3D-Rückleuchten vom 1st, und das Zentraldisplay hat eine zwölf statt zehn Zoll messende Diagonale. Serienmäßig im 1st Max ist auch das Head-Up-Display mit Augmented Reality, das zum Beispiel die Navigationspfeile in die Windschutzscheibe projiziert. Das Navigationssystem mit prädiktivem ACC ist in beiden ID.4 1st im Serienumfang enthalten; im 1st Max kommen mit Travel Assist die Mittenspurführung und das Nothaltsystem Emergency Assist hinzu.
Zu viel Software, die zu langsam arbeitet oder nicht funktioniert? Hierzu haben sich Ralf Brandstätter, Markenvorstand von Volkswagen, sowie Thomas Ulbrich, Vorstand E-Mobilität, im Vorfeld der Präsentation des ID.4 in einer digitalen Pressekonferenz geäußert. Man prüfe die Kritik am ID.3 – hier ist offensichtlich ein Beitrag des Magazins auto, motor und sport gemeint – bei der Materialauswahl und der Arbeitsgeschwindigkeit der Software sehr genau. Noch im Jahresverlauf werde es ein Update beim ID.3 geben. Übersetzt auf den ID.4 bedeutet das: Diese Mängel sollen möglichst gar nicht auftreten oder schnell behoben werden.
Platz für alle
Zurück zum eigentlichen Elektroauto und den Qualitäten im Alltag: Der Radstand des ID.4 beträgt 2,77 Meter, was zu einem großzügigen Innenraum führen soll. Das Kofferraumvolumen kann von 543 auf 1.575 Liter bei umgeklappten Rücksitzen wachsen. Insgesamt soll das Platzangebot „der nächstgrößeren Klasse“ entsprechen, heißt es im Pressetext. Bezogen auf den Volkswagen-Konzern wären das also der Tiguan Allspace. International betrachtet haben SUVs den in Deutschland beliebten Kombi abgelöst: Es sind große und subjektiv praktische Autos für die täglichen Wege, die nicht leistungsstark sein müssen, sondern eher komfortabel.
Die Produktion im Werk Zwickau läuft seit Monaten. Die 27.000 Exemplare der 1st Edition sollen zügig ausgeliefert werden; vielleicht sogar komplett in diesem Jahr. Es folgen die anderen Ausstattungsvarianten, die noch nicht kommuniziert werden, sich aber wahrscheinlich am ID.3 orientieren werden. Ebenfalls 2020 beginnt der Anlauf im chinesischen Werk. Es folgen 2022 die Fabriken in den USA (Chattanooga) und in Emden. Für die Arbeiter in Ostfriesland könnte der ID.4 die Rettung sein: Der Passat ist eben kein gefragtes SUV und wird in Zukunft wohl in Tschechien gebaut. Gleichzeitig bietet die Anbindung an die Offshore-Windkraftanlagen der Nordsee die Möglichkeit, den ID.4 glaubwürdig mit ökologischem Strom zu fertigen.
Sicherer Verkaufserfolg
Volkswagen wird den ID.4 nach Aussage von Markenvorstand Brandstätter mit „einem auskömmlichen Deckungsbeitrag“ ausliefern. Es wird also ein habhafter Gewinn erzielt. Zugleich muss man sagen, dass der Konzern die bisher drei Fahrzeuge auf Basis des Modularen Elektrifizierungs-Baukastens (MEB) aggressiv einpreist: Der Volkswagen ID.3, der ID.4 sowie der Skoda Enyaq bieten in ihren Klassen viel Elektroauto fürs Geld. Es kann auch nicht behauptet werden, dass der ID.4 der Konkurrenz zeitlich hinterherhinkt: Tesla Model Y, BMW iX3 und andere lassen noch einige Monate auf sich warten.
Der Erfolg ist dem ID.4 sicher. Er bedient exakt das Segment, das weltweit die höchste Nachfrage und das größte Wachstum hat, und das zu akzeptablen Preisen, die sich ausstattungsbereinigt kaum über dem Skoda Enyaq bewegen. Nur der Umweltnutzen dieses Welttrends darf bezweifelt werden: Wenn über zwei Tonnen schwere elektrische SUVs das neue Normalmaß sind, wird die Atemluft zwar sauberer. Der Bedarf an Material und Verkehrsfläche dieser Fahrzeuge aber konterkariert diesen ökologischen Vorteil.
Erschienen bei heise Autos.