Wenn’s der Markt nicht regelt: Das Ladetarifwirrwarr.

Es ist eine scheinbar kleine Summe, aber 17,99 Euro im Monat sind fast so viel wie die GEZ-Gebühren (18,36 Euro) oder ein Netflix-Abo in 4K-Auflösung (19,99 Euro). Bei der EnBW ist das der Grundbetrag im Vielfahrertarif L: Pro Kilowattstunde kostet der Strom an öffentlichen Ladesäulen pauschal 39 Cent – aber nur an den Standorten der EnBW. Bei anderen Betreibern sind es zwischen 59 und 89 Cent. Das Ergebnis: Wer in die Grundgebühr investiert, sucht in der App der EnBW die unternehmenseigenen Ladesäulen und wechselt nur im Notfall zu anderen Anbietern. So wird die eigene Infrastruktur besser ausgelastet – und die Wettbewerber bekommen wirtschaftliche Probleme.

Die EnBW ist nicht die Ursache der Tarifstruktur an öffentlichen Ladesäulen. Trotzdem steht das Unternehmen symbolisch für einen Markt, der nicht oder unzureichend regelt. Die Betreiber wollen die Elektroautofahrer an sich binden. So groß die Freude über das Roaming ist, also die Möglichkeit, mit einer einzigen Karte oder App in Deutschland und europaweit bei beliebigen Betreibern niederschwellig laden zu können, so groß ist die Enttäuschung, weil das Roaming durch die inzwischen gängige Preispolitik unmöglich gemacht wird.

Der Ärger in der Community der Elektroautofahrer ist groß. Einen direkten Schaden gibt es auch dort, wo Neugierige sich eigentlich für die Anschaffung eines Tesla Model Y oder eines Skoda Elroq entschieden haben und lieber noch etwas zögern.

Angst, die Investitionsaktivität zu ersticken

Wegen dieser Lage hat electrive.net mit mehreren Akteuren gesprochen. Mit den Betreibern der Ladeinfrastruktur. Und mit Institutionen: Anrufe und Mails gingen an die Bundesnetzagentur, die Monopolkommission, das Bundeskartellamt, die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur sowie an die Generaldirektion für Wettbewerb (DG Competition) bei der Europäischen Kommission.

Wie belastet die Stimmung ist, wird an einer Gemeinsamkeit deutlich. Niemand will mit dem zitiert werden, was er wirklich meint. Offen geäußert werden nur Allgemeinplätze. Es ist darum sinnvoll, die Ideen und Gedanken der Inhaltsgeber anonymisiert wiederzugeben.

Der Grund für die Bitte, im Hintergrund zu bleiben, ist die immer gleiche Befürchtung: Wenn in der Aufbauphase der Ladeinfrastruktur irgendjemand das Geschäftsmodell der investierenden Betreiber beschädigt, könnte deren Aktivität zum Erliegen kommen – und die Elektromobilität an sich hätte eine Großbaustelle mehr.

Lösungen und Auswege

Trotzdem lassen sich aus den Dialogen mehrere Lösungsansätze filtern, die die Marktgesetze wieder in Kraft setzen und so die Preise sinken lassen:

–              Das Ad hoc-Payment kann über neue Direktbezahlmethoden zur Konkurrenz des Roamings werden. Vereinfacht gesagt rechnet der Elektroautofahrer an einem beliebigen Ladepunkt ohne Vertragsbindung direkt mit dem jeweiligen Betreiber ab. Zwischenverdiener wie die so genannten CPO-Aggregatoren fallen weg. Die Marge des Standortbetreibers wächst und somit der Spielraum, günstigere Preise an den Endverbraucher weiterzugeben.

Dieser Ansatz wird durch die AFIR (Alternative Fuel Infrastructure Regulation) begünstigt. Die AFIR schreibt vor, dass seit April an den meisten neu errichteten Schnell-Ladesäulen und ab 2027 auch bei denen im Bestand Bezahlterminals installiert sein müssen. Diese Zahlungskartenlesegeräte sind die Voraussetzung fürs verbesserte Ad hoc-Payment.

–              Besonders simpel und kostengünstig ist das Ad hoc-Payment für Discounter und Supermärkte umzusetzen. Hier kann der Ladestrom auf dem Kundenparkplatz als zusätzliche Abrechnungsposition im Kassensystem angelegt werden. Fertig.

Eins der bekanntesten Beispiele aus der Praxis ist ALDI Süd, wo der Strom AC-seitig 29 Cent und mit schnellem Gleichstrom (DC) 39 Cent kostet. Das funktioniert einwandfrei. ALDI Nord wiederum, bekannt für eine vorsichtigere und sparsamere Strategie als ALDI Süd, hatte auf Anfrage von electrive.net im Juli bestätigt, gleichfalls „einen kundenorientierten Aufbau von Lademöglichkeiten auf unseren Parkplätzen“ vorzubereiten. Es ist absehbar, dass die steigende Zahl der Elektroautofahrer einen Supermarkt bevorzugen wird, der eine einfache und günstige Ladelösung anbietet.

–              Immer wieder kritisiert wird die mangelhafte Preistransparenz. Was kostet der Ladestrom an einem Standort? Es ist leicht vorstellbar, ähnlich wie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor eine digitale Anzeigepflicht einzuführen. In einer App oder als Teil des Navigationssystems könnte so der Preis pro Kilowattstunde remote angezeigt werden; in der Routenführung wäre es also zum Beispiel möglich, eine Obergrenze für die Kosten bei einem Ladestopp zu definieren.

Gerne diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch die moderne Interpretation der Anzeigetafel: Der Preis pro Kilowattstunde soll ähnlich wie bei dem für Superbenzin oder Dieselkraftstoff weit sichtbar sein. Erste Initiativen hierzu gibt bereits; an der Autobahn 2 Abfahrt Peine ist auf dem Gelände des Werksverkaufs von Rausch-Schokolade ein DC-Park von Tesla sowie einer der EnBW zu finden. Am Eingang bei den Superchargern gibt es eine Anzeigetafel mit den aktuellen Preisen für Tesla-Besitzer und Fremdlader. Vorbildlich.

–              So wie die Lkw-Ladeinfrastruktur von den Erkenntnissen bei den Pkw profitiert, könnte es bei der Preisbildung umgekehrt sein. Bei der Ausschreibung für Lkw-Ladeparks an unbewirtschafteten Raststätten ist nämlich das Durchleitungsmodell eine Voraussetzung.

Das Stichwort auf Englisch: Bring your own power. Lkw-Fahrer rechnen an einem Ladepark mit dem Tarif ihres eigenen Stromvertrags ab. Der Roamingpreis zwischen dem lokalen Betreiber und dem Stromversorger der Spedition wird aber nicht wie bei den Pkw frei verhandelt – derzeit sind knapp 60 Cent pro Kilowattstunde üblich –, sondern staatlich festgesetzt. Der Betreiber erhält eine definierte und auskömmliche Durchleitungsgebühr. Dienstleister für die Umsetzung wie Decarbon1ze von Knut Hechtfischer (ehemals Ubitricity) bringen sich bereits in Position und machen klar, dass das Modell der Lkw auf Pkw übertragbar ist.

–              Erstaunlicherweise sind bisher weder Verbraucherschutzorganisationen noch einzelne oder gesammelte Elektroautofahrer vor Gericht gezogen. Der Klageweg ist eins der vielversprechenden Instrumente, um eine juristische und vermutlich gleich europäische statt nur deutsche Entscheidung zu erzwingen. Schließlich ist ein funktionierender Binnenmarkt eins der Kernziele der Europäischen Union. Wer macht den Anfang?

Positiver Ausblick

Die Prognose ist in jedem Fall optimistisch: So wie es ist, wird es nicht bleiben. Die Marktgesetze werden über kurz oder lang doch greifen. Es gibt zu viele offensichtliche Lösungsansätze, um die momentane Oligopolbildung aufzubrechen. Alle Beteiligten sind also gut beraten, anderen Branchenteilnehmern nicht mit Überheblichkeit zu begegnen. Je schneller die Preise transparent sind und sinken, desto besser ist das für den Hochlauf der Elektromobilität.

Erschienen bei electrive.net.

Bildquelle: Christoph M. Schwarzer

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