Ausgerechnet der Renault 5: Der elektrische Kleinwagen kann nicht nur bidirektional laden, sondern auch am Strommarkt teilnehmen: Verkaufen, wenn der Preis hoch ist und umgekehrt. Der R5 ist der Erste von allen. Renault verspricht so um bis zu 40 Prozent reduzierte Fahrenergiekosten. Sollten bald sehr viele Elektroautos gezielt bidirektional laden können, wäre das ein Beitrag zur Netzstabilisierung und zur Energiewende an sich. Eigentlich haben sich die meisten Autohersteller auf Vehicle To Grid (abgekürzt V2G) vorbereitet – aber die Politik muss noch einige Hindernisse beseitigen. Wenn das klappt, ist mit einem massenhaften Start in der zweiten Hälfte des Jahres 2025 zu rechnen.
Dass es kein Tesla oder Porsche, sondern ein französischer Kleinwagen ist, der den Anfang am Strommarkt macht, hat unter anderem mit dem deutschen Partner The Mobility House aus München zu tun. Renault und das Systemhaus kooperieren, um die elektrische Energie aus dem R5 an der Strombörse EPEX Spot in Paris kursabhängig verkaufen und kaufen zu können. The Mobility House steuert den Handel für Renault sowie die Fahrzeughalterinnen und -Halter, die am Ertrag beteiligt werden.
Voraussetzung dafür ist eine spezielle Wechselstrom-Wallbox (abgekürzt AC für Alternating Current) vom Renault-Unternehmen Mobilize sowie ein Stromtarif des Konzerns. Und der R5 wiederum ist nur in der mittleren und höchsten Ausstattungslinie V2G-fähig, nicht im Basispaket. Das Prinzip ist trotzdem repräsentativ für das, was kommt: Nicht die Besitzerinnen der Elektroautos handeln den Strom aus der Batterie an den Börsen, sondern ein professioneller Anbieter.
Gleichstellung bei den Netzentgelten fehlt
Eins der vielen Probleme bei der Umsetzung des bidirektionalen Ladens ist die rechtliche Ungleichbehandlung von Stromspeichern: „Mobile Speicher, also Elektroautos, müssen stationären Batterien in Häusern gleichgestellt werden“, erklärt dazu Marcus Fendt, Geschäftsführer von The Mobility House. Er fordert, dass Elektroautos wegen ihrer Systemdienlichkeit für die Energiewende genau wie Hausbatterien von den Netzentgelten befreit werden. Diese Gleichstellung müssten „die energiepolitisch Verantwortlichen im Bundeswirtschaftsministerium nach Jahren der Diskussion jetzt endlich entscheiden“, so Fendt weiter.
Bidirektionales Laden ist also ein Geschäftsmodell, das die volatile Produktion von Wind- und Sonnenenergie zugleich nutzt und ausgleicht. Aber es gibt noch mehr Möglichkeiten, weil die Batterie im Elektroauto schließlich auf nichts anderes als Beladen und Entladen ausgelegt ist.
Stromversorgung für externe Elektrogeräte
BMW zum Beispiel kündigt für die Neue Klasse, die ab Mitte 2025 verkauft wird, auch Vehicle To House (V2H) und Vehicle To Load (V2L) an. Die ausschließlich elektrischen Pkw der Neuen Klasse können unter anderem Strom aus der eigenen Fotovoltaikanlage puffern und später ins Hausnetz abgeben. Das senkt im Zusammenspiel mit einem dynamischen Stromtarif die Energiekosten.
Auch die Versorgung externer elektrischer Geräte (V2L) ist möglich: Die Heckenschere etwa kann so funktionieren. Und auf dem Campingplatz ist der Strom aus dem Elektroauto vielleicht billiger als der vom Betreiber der Anlage. Bei Hyundai, Kia und MG gibt es dieses Feature bereits, und weitere Hersteller werden folgen.
Kern der Sache bleibt der große Maßstab: Das Elektroauto kann über das Stromnetz einen Beitrag zur Energiewende leisten und dabei Geld verdienen.
Rechnerisch bereits größer als alle Pumpspeicherkraftwerke
Wie wichtig Stromspeicher sind, zeigt eine Studie des Fraunhofer ISE (Institut für Solare Energiesysteme). Wenn Deutschland bis 2045 klimaneutral wirtschaften will, sind nach dem Szenario des ISE 515 Gigawattstunden (GWh) Speicherkapazität notwendig. Nur einen kleinen Teil davon, nämlich 63 GWh, werden Pumpspeicherkraftwerke ausmachen. Ein Ausbau gegenüber dem heutigen Stand ist nicht vorgesehen, weil die Kosten zu hoch sind.
Aktuell hat Deutschland über 13 GWh stationäre Batteriespeicher, also jene in den Hauskellern plus den gigantischen Batteriespeichern, die von den Großversorgern derzeit aufgebaut werden. Das Planspiel des Fraunhofer ISE hatte für 2024 zusätzlich mobile Speicher – also Elektroautos – mit 39 GWh Kapazität vorgesehen. Nichts davon ist Realität, und das liegt vor allem an der fehlenden politischen Deregulierung.
„Wir haben rechnerisch schon heute mehr Speicher in Form von Elektroautos als alle Pumpspeicherkraftwerke zusammen“, betont Jörg Heuer, CEO von EcoG, einem global agierenden IP- und Technologieunternehmen, das europäischer Marktführer bei Software und anderen Lösungen für die Ladeinfrastruktur ist. Außerdem hat EcoG den Deutschen Innovationspreis 2024 gewonnen. Das Systemhaus unterstützt auch die Entwicklung von Gleichstrom-Wallboxen. Diese DC-Ladestationen (für Direct Current) sind ein weiterer wichtiger Baustein für das Gelingen des Ausbaus. Sie sind effizienter, lassen sich besser regeln und ins Netz integrieren. Der Großteil der Autoindustrie wird auf DC setzen.
Der Mensch muss mitmachen
DC-Wallboxen sind derzeit noch nicht preisgünstig genug und werden selten angeboten. Fachkreise berichten, dass sich das ab 2025 radikal ändern könnte: Mit dem Hochlauf der Massenproduktion werden DC-Wallboxen für 2.300 Euro und perspektivisch noch billiger verkauft werden können. Sie wären ideal geeignet, um Elektroautos ins Stromnetz zu integrieren.
Allerdings gibt es eine elementare Voraussetzung: Der Mensch muss mitmachen. Nur, wenn die Fahrer zu Hause das Kabel tatsächlich einstecken, fließt Strom in die eine oder andere Richtung. Aber wenn es darum geht, mit dem Elektroauto Geld zu verdienen, lassen sich viele Leute mühelos überzeugen.
Erschienen bei ZEIT ONLINE.